Mailand - Opernhäuser brauchen Geld. Und so berühmte wie die Mailänder Scala besonders viel. Auf der Suche nach Unterstützern ist der Intendant Pereira nun in Saudi Arabien fündig geworden. Der Aufschrei ist groß. Viele sehen das Kultur-Heiligtum Italiens in Gefahr.
Die Saisoneröffnung der Mailänder Scala gehört zu den wichtigsten kulturellen Ereignissen in Italien. Wer bei dem Spektakel dabei ist, hat im Land meist was zu sagen. Hin und wieder gibt es einen Skandal oder ein Skandälchen. Diese Saison protestierten Tierschützer gegen den Auftritt eines Pferdes bei Verdis «Attila». Auf den seltenen Gast im Publikum waren die Augen im vergangenen Dezember allerdings noch nicht gerichtet: In den Rängen saß der saudi-arabische Kulturminister Prinz Badr bin Abdullah. Drei Monate später ist der Aufschrei groß. Denn Saudi Arabien will Millionen in eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt investieren. Und das Pikante: Im Gegenzug soll Prinz Badr im Aufsichtsrat sitzen.
Seitdem die Nachricht in der Welt ist, sind sich Politiker von links bis rechts in Italien ausnahmsweise einig. Ein ultra-konservativer Staat, der zuletzt mit einem Tötungskommando den Regierungskritiker Jamal Khashoggi ermorden ließ, habe nichts in einer von Italiens obersten Kulturinstitutionen zu suchen. «Wir können es uns absolut nicht erlauben, dass eines der prestigeträchtigsten Symbole Mailands mit einem Land zusammenarbeitet, das täglich die Menschenrechte und die Freiheit mit Füßen tritt», erklärte der sozialdemokratische Europaabgeordnete Antonio Panzeri.
«Pecunia non olet (Geld stinkt nicht), sagte man im alten Rom», erklärte der Senator der konservativen Forza Italia, Maurizio Gasparri, «aber es ist kein Prinzip, das moralisch immer vertretbar ist.» Als größter Skandal gilt, dass sich das ölreiche Königreich mit seinen Petrodollar gleich in den Aufsichtsrat «einkaufen» und so Legitimität verschaffen will.
15 Millionen Euro aus Saudi-Arabien sollen in den kommenden fünf Jahren insgesamt an das Opernhaus fließen. In Riad soll ein Konservatorium für Kinder öffnen. Auch ist im Gespräch, Verdis Oper «La Traviata» in der saudischen Hauptstadt aufzuführen. Der Präsident der Region Lombardei, Attilio Fontana, sprach von einem «fast heiligen» Status der Scala. «Man kann Produkte der Scala verkaufen, aber man kann nicht gleich die Scala selbst verkaufen», sagte er der Zeitung «Corriere della Sera».
Der Intendant der Oper, der Österreicher Alexander Pereira, kann die Aufregung nicht verstehen. Es sei ein positives Zeichen, wenn sich ein Land öffne, das sich 40 Jahre der Kultur verschlossen habe, sagte er der Zeitung «La Repubblica». Er habe den Fall Khashoggi verfolgt und er wisse sehr gut, dass das saudische Regime «despotisch» sei. Er sei aber von der «positiven Kraft der Musik» überzeugt. Und wenn die Scala das Geld nicht nehme, würde es jemand anderes tun - Frankreich nämlich.
Mittlerweile ist in den Fall auch die Regierung in Rom eingeschaltet. Am 18. März tagt der Aufsichtsrat in Mailand. Dann soll eine Entscheidung fallen. Der Vorsitzende, Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala, übte sich in Zurückhaltung. Es sei richtig, dass Gelder auch außerhalb Italiens gesucht würden, sagte er. Die Frage sei aber, was man dafür im Gegenzug verlange.
Saudi-Arabien dürfte versuchen, mit dem Engagement an der Scala das Image des Königreichs aufzupolieren, das wegen Menschenrechtsverletzungen international am Pranger steht. Bislang sorgten die Nachbarländer mit Kulturprojekten für Aufsehen. So wurde etwa im November 2017 der Louvre Abu Dhabi eröffnet, für dessen Namen und Leihgaben das Golfemirat knapp eine Milliarde Euro nach Frankreich überwies. Auch das dank großer Gasvorkommen reiche Katar hat in der Kunstszene einen Namen. Scheicha Al-Majassa bint Hamad Al Thani gilt als eine der weltweit einflussreichsten und finanzstärksten Kunstsammlerinnen.
Doch selbst das islamisch ultra-konservative Saudi-Arabien erlebt kulturell eine Öffnung, seit Kronprinz Mohammed bin Salman - kurz MbS genannt - zum mächtigsten Mann des Königreichs aufgestiegen ist. Kinos sind nach Jahrzehnten wieder erlaubt. Mit viel Geld werden internationale Stars ins Land geholt. Vergangenes Jahr feierten Tausende in Riad mit den Black Eyed Peas und Enrique Iglesias.
Neuerdings hat das Königreich auch ein Kulturministerium, an dessen Spitze Prinz Badr steht. Der neue Kulturminister solle das Land «in eine globale kulturelle Drehscheibe» verwandeln, hieß es in der offiziellen Propaganda. Saudi-Arabien erlebe eine «neue Ära». Mit der Öffnung schafft es der 33 Jahre alte MbS tatsächlich, die jungen Saudis auf seine Seite zu ziehen, bei denen er sehr beliebt ist.
Im Wettbewerb mit Katar und den Emiraten um Macht und Einfluss wird das Königreich international aktiver. Zuletzt kursierten Gerüchte, MbS wolle den englischen Fußballclub Manchester United übernehmen. In Italien gab es Ärger, weil die Topclubs Juventus Turin und AC Mailand im saudischen Dschidda den Superpokal austrugen. Für das Königreich war auch das eine Chance, sich als offen zu zeigen.
Doch trotz allem: Der Kronprinz geht rücksichtslos gegen Gegner vor. Kritiker sehen hinter der liberalen Fassade des ehrgeizigen Thronfolgers einen brutalen und zu allem bereiten Autokraten, der keinen Widerspruch duldet. Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten sitzen in Haft und warten auf ihren Prozess. Daran wird vermutlich auch Musik aus Mailand nichts ändern.