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Schriftsteller Dietrich Schwanitz gestorben

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«Angenehm unprofessoral» - Bestsellerautor Dietrich Schwanitz ist tot - Buch über die Deutschen bleibt unvollendet - Verlag beklagt «Verlust für das deutsche Geistesleben»

Freiburg/Frankfurt/M. (ddp). «Alles, was man wissen muss» hat Dietrich Schwanitz uns vermittelt. Mit seinen Büchern für eine umfassende Allgemeinbildung hat der Wissenschaftler und Schriftsteller die Bestsellerlisten erobert und Diskussionen um den Wert von Faktenwissen entfacht. Jetzt ist der habilitierte Anglist tot. Der 64-Jährige, der an einer schweren Krankheit litt, starb in seinem zweiten Zuhause in Hartheim im Schwarzwald. Dort wurde er am Dienstagvormittag tot aufgefunden. Die Polizei geht von einer natürlichen Todesursache aus.

Als einen «Zuspitzer» bezeichnet Matthias Bischoff, Programmleiter des Eichborn Verlags, den Autor. Schwanitz habe die für einen Professor seltene Gabe und den Mut gehabt, die Dinge verkürzt auf den Punkt zu bringen. Dafür sei er häufig geprügelt worden. Trotzdem hätten Telefonate mit ihm aber zu Vorlesungen werden können. Er habe auf jedem Gebiet etwas Sinnvolles sagen und die entlegendsten Dinge verbinden können, erinnert sich Bischoff.

Schwanitz, Lehrersohn aus Werne an der Lippe, verbrachte seine Kindheit bis zum elften Lebensjahr bei mennonitischen Bergbauern in der Schweiz. Ohne richtig lesen und schreiben zu können, wurde er nach seiner Rückkehr zu den Eltern in die höhere Schule aufgenommen und schaffte es, bis zum Abitur Klassenbester zu werden. Er studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster, London, Philadelphia und Freiburg, wo er auch promovierte und habilitierte. Von 1978 bis 1997 lehrte er als Professor für Englische Literatur und Kultur an der Universität Hamburg, ließ sich dann aber frühzeitig pensionieren. In den vergangenen zwei Jahren lebte er Bischoff zufolge sehr zurückgezogen im Schwarzwald.

Mitte der 90er Jahre hatte Schwanitz mit seiner «Englischen Kulturgeschichte» begonnen, die wissenschaftliche Arbeit mit seinem erzählerischen Talent zu verbinden. Mit seinen Universitätsromanen «Der Campus» (1995) und «Der Zirkel» (1998) wurde er zum Bestsellerautor. Ein Erfolg, den er mit «Bildung. Alles, was man wissen muss» (1999), einem Handbuch des abendländischen Wissens, und «Männer. Eine Spezies wird besichtigt» (2001) fortsetzte.

«Der Campus» wurde 1998 von Sönke Wortmann mit Heiner Lauterbach in der Hauptrolle verfilmt. Das Drehbuch schrieb Schwanitz gemeinsam mit Wortmann und Studenten. Als Mathematik-Professor Nesselhauf übernahm er in dem Kinostreifen auch eine Nebenrolle. In der Folge seiner Bucherfolge wurde Schwanitz zum gefragten Talkshow-Gast für Fragen zum Thema Hochschule und Kulturkritik. 1997 mischte er sich mit seinem Buch «Das Shylock-Syndrom oder Die Dramaturgie der Barbarei» auch in die Goldhagen-Debatte um die Rolle der Deutschen im Holocaust ein.

Bischoff, der Schwanitz seit 1994 als Lektor begleitete, hält ihn für einen der wichtigsten Autoren in Deutschland. Sein Tod sei «ein echter Verlust für das deutsche Geistesleben». Schwanitz sei immer bereit gewesen, quer zu denken, dabei sei er witzig und ironisch und «sehr angenehm unprofessoral» gewesen, sagt der Lektor.

Schwanitz\' Buch «Männer» wurde 2002 bei der Leipziger Buchmesse mit dem Deutschen Bücherpreis in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet. Die Preisskulptur »Butt« in seinen Händen habe ihm das einstudierte Grinsen erspart, das er bei Nicht-Erfolg aufgesetzt hätte, sagte der Autor bei der Verleihung. Ein geplantes Buchprojekt über Deutschland und die Deutschen, das aber noch im Anfangsstadium steckt, kann Schwanitz nun nicht mehr vollenden. Bischoff zufolge wäre es sicher wieder »ein hochprovokantes Buch" geworden.

Ulrike Geist