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(nmz) Der steirische herbst 2005 findet von 29. September bis 30. Oktober unter dem Titel "Thema Stadt: polis on display" statt. Nachfolgend ein Überblick zu den Angeboten in den Bereichen szenischer Kunst und Musik.
OPERA / WERKEStadtoper Graz in sieben Akten von Peter Ablinger
Der Gesang Das Orchester Das Libretto Die Handlung Die Kulisse Die Bestuhlung Das Publikum
Termin 14. / 15., 21. / 22., 1. 30. 10. 2005
Hellhörig und hellsichtig machend, wird in der Stadtoper Graz auf jene elementaren Bausteine reflektiert, die Oper als Kunstform insgesamt konstituieren. Sieben autonome und voneinander unabhängige, zugleich konkret aufeinander bezogene Hauptabteilungen formieren sich zu einem ästhetischen Reigen rund um den Themenkreis "Opera / Werke". Vollkommene Umwertung aller Werte: entschieden und emphatisch wird das gesamte Konglomerat Oper auf den Kopf gestellt und gleichzeitig werden konstruktive Vorschläge gemacht, welche Formen heutige Oper annehmen könnte. Es geht um das Zusammentreffen der verschiedenen Kunstformen (mit dem sie verknüpfenden Fokus auf das Hören), vor allem um die Authentizität der einzelnen Künste, ihre je eigenen Rezeptions- und Wahrnehmungsformen und die daraus resultierenden sozialen Muster: mit dem Sektglas in der Galerie, mit der Platzkarte in Stuhlreihen oder allein mit einem Buch; und handelnde Person ist keine fiktive Gestalt, sondern ganz allein der Hörende und die auf das Hier-Sein bezogene Wahrnehmung. "Opera / Werke" zielt auf die Pluralität der Werk- und Wirkungsformen. Der Komponist beschränkt sich nicht mehr darauf, Notenpapier zu füllen. Er ist zugleich ein die Rolle der Musik und der Kunstinstitutionen reflektierender Klangkünstler und Klangökologe.
Der Gesang in der esc. hat nur vermittelt mit dem Phänomen vokaler Expression zu tun, ist vielmehr eine umfassende akustische Bestandsaufnahme des Phänomens Stadt es ist die Stadt selbst, die singt , ein enzyklopädischer Stadt-Klang-Katalog, eine urbane Hörbibliothek mit 36 CDs und ca. 400 Aufnahmen von verschiedenen Orten in Graz. Einzelne dieser "Phonographien" spielen denn auch die Hauptrolle in der Uraufführung des 2. Akts mit dem recreation‹Klangkörper in der
Helmut-List-Halle: Das Orchester ein Stück in 10 Tableaus und 11 Intermezzi. Das Libretto von Yoko Tawada ist ein für sich allein stehendes Buch, als purer Leseakt konzipiert, ein Text / Buch also, das weder vertont noch gesungen wird. Die Handlung ereignet sich in der Oper Graz (wo sonst gibt es noch Handlung?!), doch verhandelt wird die Dialektik von absoluter Stille und dem weißen Rauschen zwischen Zeit und Zimmerflucht. Eine 10 Minuten kurze Installations-Performance für jeweils maximal 6 BesucherInnen. Die Kulisse ist geplant als große Intervention im zentralen öffentlichen Raum, als visuelle Schneise durch das gewohnte optische Dickicht der Stadt, um Herkömmliches an Bewusstseinsform und Wahrnehmung aufzuheben. Die Bestuhlung ist ein mobiler Korso mit 36 Stühlen, an verschiedenen Orten der Stadt aufgeschlagen zwecks möglicher Metamorphosen der Vermittlungen von Öffentlichkeit und Hör-Erfahrung.
Das Publikum als letzter Akt in der Helmut-List-Halle mit dem Ensemble Zeitfluss Graz ist eine ästhetische Parallelaktion von Musik und Film unter dem Signum der "Utopie Kunst". Ein Stück für 2 Filme, 2 Ensembles und 2 computergesteuerte Klaviere. Es geht für Peter Ablinger und Edgar Honetschläger in The Audience um eine komplementäre Horizont-Erweiterung für das innovative Erlebnis Kino, in Allianz mit der Klangrede einer authentischen Jetztzeit-Musik. Nicht zuletzt hier wird die ästhetische Toposforschung der Stadtoper Graz zur konzentrierten Bereicherung unseres "sinnlichen Bewusstseins".
Bodies Cities Subjects
Performances mit Rubato, She She Pop und mnemonic nonstop
Kuratorin Gabriele Klein
Termin 30. 9. 22. 10. 2005
Die Transformation der europäischen Stadt ist das Thema des diesjährigen steirischen herbst. Die Programmschiene "Bodies Cities Subjects" reflektiert den Strukturwandel der Städte mit den Mitteln der szenischen Künste. "Bodies Cities Subjects" provoziert Begegnungen und schließt spontane Bündnisse: die Grenzen zwischen öffentlichem und theatralem Raum, KünstlerInnen und Nicht-KünstlerInnen, Handelnden und Zusehenden werden durchlässig. Das performative Experiment und nicht die bildliche Darstellung oder theatrale Inszenierung des urbanen Transformationsprozesses, von Suburbanisierung und Schrumpfung, von Segregation und sozialer Ausgrenzung, Musealisierung und Eventisierung, von urbanem Nomadentum und städtischem Lifestyle, stehen hier im Vordergrund. Statt um Repräsentation geht es um Präsenz: um aktuelle Stadtatmosphären und Stimmungen, um das Mitwirken von StadtbewohnerInnen, um körperliche Zustandsaufnahmen, um globales Nomadentum, um Utopien von Gemeinschaft in den Nicht-Orten urbaner Ballungsräume.
Rubato
Herzschritt dance different
Ort Palais Thienfeld
Eröffnung 30. 9. 15. 10. 2005
Konsum ist eines der wesentlichen Kennzeichen moderner Städte. In den postmodernen Shoppingcentern ist Kaufen als Event inszeniert und zu einem ästhetischen Genuss stilisiert.
Ist Tanz als Körperkunst käuflich, obwohl sie als die Flüchtigste aller Künste gilt? Kann Tanz eine Ware sein, etwas, das Mehrwert schafft? Wie ist das Verhältnis von Gebrauchswert und Tauschwert im Tanz?
Rubato eröffnet für zwei Wochen während des steirischen herbst ein Geschäft für Tanz. Nicht etwa Tänzerkleidung oder entsprechende Accessoires sind dort zu erwerben, sondern zum Kauf stehen Tänze, die Rubato selbst entworfen haben. Eine nicht materialisierbare Kunst wird zur Ware.
She She Pop
Lagerfeuer
Ort Dom im Berg
Uraufführung 1. 10. 2005
Weitere Aufführungen 2., 3. 10. 2005
Seit etwa 100 Jahren gilt die Stadt der Moderne als der zentrale Ort, an dem sich Individualisierungsschübe wohl am deutlichsten zeigen. Anonymität, soziale Isolation, Entfremdung und Einsamkeit sind die Stichworte, die die Kulturkritik der modernen Stadt bis heute begleitet haben.
Ist Gemeinschaft in der postindustriellen Stadt möglich? Dieser Frage gehen She She Pop nach. Sie fragen nach den heutigen Formen von Gemeinschaft, nach den Möglichkeiten von Zusammensein und Besinnlichkeit. Gerade für die Mitglieder von She She Pop, die nach den Prinzipien der postmodernen Individualität sozialisiert worden sind und deren Stücke schon immer um die Inszenierung von Authentizität und die Produktion von Identität kreisten, ist die Herstellung von Gemeinschaft zu einem brennenden Thema geworden.
Martin Nachbar / Jochen Roller
mnemonic nonstop
Ort Kristallwerk
Uraufführung 15. 10. 2005
Weitere Aufführungen 16., 17. 10. 2005, 20 Uhr
Koproduktion steirischer herbst mit STUK kuntencentrum Leuven
Der Global Player ist der Prototyp einer globalisierten Gesellschaft. Aber nicht nur weltweit agierende Wirtschaftsbosse, sondern auch KünstlerInnen sind postmoderne MigrantInnen, die verschiedene Städte durchstreifen, Residenzen haben, ohne in den Städten sesshaft zu werden. Die Stadt als Durchgangsort ist das Thema von Jochen Roller und Martin Nachbar.
Um die Anatomie von Städten zu untersuchen, begeben sie sich auf choreographische Erkundungstouren durch fünf europäische Städte (Berlin, Leuven, Zagreb, Tel Aviv und Graz). Auf jeder Exkursion erstellen die beiden Choreographen Karten: Straßenverläufe werden assoziiert mit Gedanken, Begegnungen simultan verzeichnet und Beobachtungen vermerkt. Durch Übereinanderlegen der unterschiedlichen Karten bilden sich Schichten, die, gegeneinander verschoben, eine Legende formen, welche die beiden Tänzer bei der Arbeit anleitet. So entsteht auf der Bühne ein kinetisches Tagebuch, in dem die Kartographen tänzerisch navigieren.
Nicht einmal Hundescheiße
Ein Grazer Bürgerbeet
Theater im Bahnhof
Ort Ecke Brückenkopfgasse / Schiffgasse
Uraufführung 1. 10. 2005
Das Herrl gleicht seiner Wiese.
So schöne Bürger ordentlich eingepflanzt auf einem so schönen Flecken.
Eine besondere Wiese: Nicht einmal Hundescheiße.
"Nicht einmal Hundescheiße" ist eine Aktion im öffentlichen Raum, bei der die Öffentlichkeit sich verstecken muss, um dabei zu sein. Den alle an der Aktion beteiligten, die Akteure, die Wiese, der Strommast, mögen keine Blicke von außen, vertragen keine Aufmerksamkeit.
Eine Aktion die so unscheinbar vor aller Augen abläuft, dass man schon jemanden braucht, der hinzeigt, um sie zu sehen. Dann aber die Chance auf einen versteckten Mikrokosmos, der letzte Teil unberührter Stadt.
Eine Wiese, ein Baum, Stiefmütterchen, zwei Bänke, Papierkorb, eine sinnlose hohe Hecke, eine nicht minder sinnlose niedrige Hecke, ein Strommast, ein Sicherungskasten, ein Hydrant, eine beleuchtete Litfasssäule.
Zwei sehr stark befahrene Straßen als Einfassung. Sie bilden eine Schutzfunktion. Durch die hohe Anzahl der vorbeischießenden Fahrzeuge, und der durch diese verursachten Lärm verstecken die Straßen diesen schön leeren Flecken. Und haben zu seiner Erhaltung beigetragen.
Für ein paar Menschen, unspektakuläre Bürgerinnen und Bürger, Menschen mit Arbeitsplatz, gut genährt und gepflegt, ist es ein besonderer Ort. In Ihm haben sie etwas, dass sie verstehen können. Die Belanglosigkeit dieses Flecken Erde gleicht ihrer eigenen Unwichtigkeit. Hier kann man öffentlich unwichtig sein, und niemand stört. Ein öffentlicherRückzug ins Private.
Menschen blühen neben Stiefmütterchen. Hier können sie aufgehen, befreit von Unkraut.
Obwohl alle glaubten es sei schon ausgestorben: es gibt noch Graz.
musikprotokoll
Programm Christian Scheib
Termin 6. 10. 9. 10. 2005
Koproduktion steirischer herbst, Radio Österreich 1, ORF Steiermark
in stile antico e moderno
Gerd Kühr schreibt für den großen Eröffnungsabend des heurigen musikprotokolls im steirischen herbst einen Hoquetus. Klaus Lang komponiert eine Messe, die Grazer Pd-community kreiert Digitales als Kunst und Schimana/Gründler verwandeln Instrumental-Elektronisches in ein Work-in-progress der Großen Partitur: Allesamt Aspekte der Modernen, allesamt mit Wurzeln in der Steiermark, wie auch das neue Werk des Saarbrückener Wahlgrazers Christian Klein.
in stile antico e moderno: Modern ist längst eine Frage des Plurals und diesem ist das musikprotokoll im steirischen herbst seit Jahren verschrieben. Antik war immer eine Frage des Standpunkts und diesbezüglich flexibel zu sein ist ebenfalls eine Tradition des musikprotokolls. Ein Hoquetus als potentielle Moderne, der Software-patch mit seiner kurzen Halbwertszeit im Kampf gegen seine eigene Antiquität: Die Fronten verschieben sich weiter; es gilt immer noch, ihnen durch kritisches Bewusstsein und Erfindungsreichtum voraus zu sein.
Das internationale Schaufenster musikprotokoll im steirischen herbst hat einen Schwerpunkt in Musik aus der Steiermark und darüber hinaus spielen das RSO-Wien Uraufführungen von George Lopez und Peter Androsch, das Klangforum Wien von Gerhard Winkler und Johannes Kalitzke. Es gastieren aus ganz anderes Genres die Feinstoffphysiker der Klangwellen Los Glissandinos und brpobr; und das ensemble recherche setzt den musikprotokoll-Südost-Fokus mit Uraufführungen von Marko Nikodijevi und Igor Majcen fort: in stile antico e moderno.
Abschlusskonzert
Ort Helmut-List-Halle
Termin 29. 10. 2005
Programm:
Beat Furrer, nuun
Giacinto Scelsi, Anahit
Hans-Peter Kyburz, Klarinettenkonzert
Salvatore Sciarrino, Archeologia del telefono (ÖEA)
Klangforum Wien
Dirigent: Beat Furrer
Solisten:
Gunde Jäch-Micko, Violine
Ernesto Molinari, Klarinette
Marino Formenti, Klavier
Mathilde Hoursinangou, Klavier