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Am Welttheatertag steht in Deutschland nicht die Feier, sondern der Streit um die Zukunft der deutschen Bühnen im Mittelpunkt. Kritisch sehen Bühnenverein, Intendanten und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di das so genannte "Weimarer Modell", das den Ausstieg aus dem Tarifsystem vorsieht.
mdr - Gleichwohl sollen Privatisierungs-Konzepte überdacht werden. Theatermacher forderten ihre Kollegen allerdings auch auf, bei der Wahl der Stoffe und in ihren Inszenierungen mehr zu riskieren, um das Publikum in die Häuser zu locken.Mülheimer Intendant Ciulli geehrt
Zum Welttheatertag, der alljährlich am 27. März begangen wird, ist das Mülheimer "Theater an der Ruhr" mit dem "Preis zum Welttheater" ausgezeichnet worden. Der undotierte Preis wird seit 1984 an Persönlichkeiten des deutschsprachigen Theaters für ihre herausragende und Ländergrenzen übergreifende Arbeit vergeben. In der Begründung des Deutschen Theaterinstituts, das den Preis vergibt, heißt es, das Mühlheimer Theater sei "ästhetisch, strukturell und kulturpolitisch" ein einzigartiges innovatives Modell. Sein künstlerischer Leiter Roberto Ciulli verwirkliche in "außenseiterischer Kontinuität" einen kreativen Dialog der Kulturen. Frühere Preisträger waren unter anderem Klaus Michael Grüber, Georg Tabori, Peter Palitzsch, Tankred Dorst und Gert Voss.
ver.di warnt vor Ausstieg aus Tarif-System
Am Welttheatertag steht in Deutschland nicht die Feier, sondern der Streit um die Zukunft der deutschen Bühnen im Mittelpunkt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verurteilte die Schließung der Theater in Wittenberg und des Schauspiels in Erfurt. Zugleich wurden Kampfmaßmahmen bei Verletzung der Bühnentarife angekündigt. Deutschlandweit seien in den vergangenen fünf Jahren 6000 der 45.000 Stellen an den Bühnen abgebaut worden. Dies genüge den öffentliche Trägern offensichtlich noch nicht. Nach Ansicht des Deutschen Bühnenvereins konnten die steigenden Personalkosten bisher durch Rationalisierung abgefangen werden. Direktor Bolwin erklärte, weitere Einsparungen seien aber nicht möglich. Statt dessen müssten die Städte und Gemeinden im Rahmen der ausstehenden kommunalen Finanzreform mit ausreichenden Mitteln für den Erhalt ihrer Theater ausgestattet werden.
"Weimarer Modell" unter Beschuss
Zwar sehen viele deutsche Intendanten den Reformstau, gleichwohl lehnen sie radikale Privatisierungskonzepte wie in Weimar als unausgereift ab. So kritisierten die Intendanten von Dresden und Hamburg, Freytag und Khuon, den kompletten Ausstieg aus dem Tarifsystem, der für das Nationaltheater vorgesehen ist. Dies öffne dem "Turbo-Kapitalismus" Tür und Tor, sagte Freytag. Dem "Weimarer Modell" gingen lange Querelen um eine Fusion mit dem Stadttheater Erfurt voraus, die schließlich scheiterte. Nun sollen die Gründung einer GmbH, die Kürzung des Personals und Haustarife beim Sparen und der Sicherung der Eigenständigkeit helfen. Im Zusammenhang mit den Spar-Debatten forderten deutsche Theatermacher wie der Intendant des Schauspiels Hannover, Schulz, eine Verständigung "mit der Politik, welches Kulturverständnis unseren Staat prägt und was dieses den Bürgern wert sei".
Karnad: Theaterleute sollen mehr riskieren
In der Botschaft, um die das Internationale Theaterinstut alljährlich einen renommierten Theatermann bittet, appellierte der indische Regisseur Girish Karnad, mehr zu riskieren. Das Theater unterschreibe sein eigenes Todesurteil, wenn es versuche auf Sicherheit zu spielen. Jede Vorstellung berge das Risiko des Scheiterns, der Störung und damit der Gewalttätigkeit, gerade deshalb aber "wird das Theater - mag seine Zukunft auch häufig trüb erscheinen - leben und weiter provozieren." Karnad, der 1938 in Matheran/Indien geboren wurde, arbeitet als Autor, Übersetzer und Regisseur. Der Intendant des Staatstheater Cottbus schloss sich Karnads Appell an. Er sagte seinen Kollegen, sie "müssen inhaltliche Risiken eingehen, damit wir zu einer inhaltlichen Diskussion kommen." Sein Haus wolle sich wieder stärker mit Gesellschaftsmodellen, mit gescheiterten Visionen und möglichen Utopien auseinander setzen.