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In Berliner Justizvollzugsanstalt zeigen Gefangene ihre Bühneninterpretation von «Spartacus»


Berlin (ddp). Für eineinhalb Stunden scheint in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel in Berlin jeder Unterschied zwischen drinnen und draußen aufgehoben: Gefangene spielen am Mittwoch auf dem Gefängnishof ein Stück, Berliner Theaterbesucher gucken zu. Erst als die Produktionsleitung in ein benachbartes Waldrestaurant zur Premierenfeier lädt, trennt sich die Welt von Besuchern und Darstellern wieder.

Es ist das elfte Mal, dass in der JVA Tegel Theater gemacht wird. In diesem Sommer steht «Spartacus» auf dem Spielplan. Bis 11. Juli beweisen 25 Inhaftierte ganz ohne Sozialromantik, dass auch harte Burschen Selbstbeherrschung und Disziplin sowie darstellerische Sensibilität aufbringen können. Am Ende reißt die Inszenierung in der Regie von Peter Atanassow die «normalen» Zuschauer zu Beifallsstürmen hin. Die Zuschauer in den Zellen am Hof grölen.

Die Amateurdarsteller in Tegel heißen Fresh 35, Jesus, Peter & Paul; andere erscheinen unter ihren bürgerlichen Namen auf der Besetzungsliste. Gezeigt wird eine Interpretation des historisch verbürgten Aufstandes römischer Gladiatoren unter Spartacus (Dramaturgie Jörg Mihan). Das Bühnenbild von Holger Syrbe passt sich der Umgebung an: Rostige Eisengitter bilden den Fußboden und formen große Boxen. Aus diesen Käfigen strömen die Gladiatoren in die Arena, von dort aus dreschen Trommelschläge ins Rund, auf dem Dach werden zum Schluss drei Aufständische gekreuzigt.

Ein Turm gegenüber bildet die Zuschauerlogen des fiktiven Amphitheaters oder wahlweise die Balkone der drei römischen Senatoren. Diese Herren tragen in Anspielung an die Berliner Stadtfarben rot-weiße Schärpen und weiße Westen. Sie heißen eins, zwei und drei, sind also austauschbar. Der gemeine Römer wiederum, der mit Brot und Spielen und kostenfreiem Eintritt bei Laune gehalten werden muss, kommt im Dress der italienischen Faschisten daher. Die Gladiatoren kämpfen sterben in Leder-Wams samt Feldhose.

Die Inszenierung lebt vor allem von genauer Typenzeichnung. Die Gladiatoren sind keine graue Masse, sondern Charaktere, denen der Zuschauer ihre Herkunft aus verschiedenen Provinzen des Römischen Reiches abnimmt. Der Inhaber der Gladiatorenschule berlinert herzerfrischend, während der Chefausbilder mit breitem bayerischen Dialekt aufwartet. Sklave David, ein Schwarzer, spricht gebrochen Deutsch. Und Nummer eins des dreifach besetzten Spartacus kommandiert in «Kanak». Sie alle zeigen neben Dialogszenen mit spontanem Applaus bedachte Marsch- und Kampf-Choreographien.

Dann und wann kommt es auch zu Interaktionen mit den Insassen der umliegenden Zellen der Tegeler Anstalt. Frage eines römischen Bürgers an die ausgebrochenen Gladiatoren: «Was wollt ihr?» Kommentar aus der Ferne: «Hier raus!» Die Zaungäste schauen aus ihren vergitterten Fenstern, machen auch schon mal Krach. Meist aber verfolgen sie das Geschehen mit Interesse.

Weitere Vorstellungen finden am 25. und 27. Juni sowie am 2., 4., 9., und 11. Juli statt. Karten sind nach Angaben der Veranstalter vom Projekt «aufBruch Kunst Gefängnis Stadt» nur mit persönlicher Voranmeldung bis spätestens fünf Tage im Voraus erhältlich. Den Kartenverkauf wickelt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ab.

Torsten Hilscher

http://www.gefaengnistheater.de