„Komponieren“ ist genau wie „Schreiben“ ein sehr schwammiger Begriff, der für Menschen vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben kann (was schon damit anfängt, dass auch ein Menü eine „Komposition“ sein kann und „komponiert“ wird). „Schreiben“ gibt es nicht als Studiengang an Universitäten, höchstens als Fach. Man studiert also nicht „Dichten“, sehr wohl aber „Musik erfinden“ im Hauptfach. Aber wo genau, ist kompliziert.
Wer Popmusik machen will, ist größtenteils Autodidakt oder studiert an einer Popakademie oder Musikschule. Wer Jazz machen will – eine Musikrichtung, die zu ihrer Entstehung ausschließlich von Autodidakten gespielt wurde – wird höchstwahrscheinlich auch Jazz studieren, Autodidakten sind hier inzwischen eher selten. Wer sich für Filmmusik interessiert, studierte früher ganz normal Komposition, wird aber heute entweder Autodidakt sein oder an einer Musikhochschule Filmmusik als Fach belegen.
Und was ist dann das Fach „Komposition“? Meiner Ansicht nach ist es ein Land der unendlichen Möglichkeiten, aber dieses Land wird oft mit sehr festen Erwartungen betreten, und dadurch entstehen Missverständnisse und Umwege.
Ich hatte an dieser Stelle schon einmal erwähnt, dass wir relativ viele Bewerbungen haben, bei denen man stark den Eindruck hat, dass Komponieren generell als „irgendwie Musik ausdenken“ verstanden wird, aber nicht unbedingt als Fähigkeit, Partituren geschweige denn Noten lesen oder schreiben zu können. Immer wieder stellen sich bei mir angehende Studierende vor, die einem einfach nur Aufnahmen von Improvisationen schicken, die sie in irgendein Programm gehackt haben (früher war das dann auf Kassetten oder CDs, heute auf Soundcloud). Diesen Bewerbern kann man dann vielleicht immerhin erklären, dass auch zum Beispiel eine Schriftstellerin lesen und schreiben können muss, bevor sie einen Roman schreibt. Was aber, wenn ein solch sich Bewerbender hochmusikalisch ist? Auch das gibt es: geniale Klangerfinder, die sich ausschließlich elektronischer/digitaler Klangerzeugung bedienen, aber die keinerlei „klassische“ Ausbildung durchlaufen haben. Ans IRCAM zum Beispiel kämen die dann auch nicht, wo sollen sie studieren?
Dann gibt es die für mich immer ein bisschen unverständlichen Studierenden, die einerseits Musik erfinden wollen, aber keineswegs den Anspruch haben, irgendetwas Neues oder Gegenwärtiges zu schaffen. Sie wollen brave Kantaten oder Symphonien im Stil des 19. Jahrhunderts schreiben und es reicht ihnen vollkommen, dies zu tun. Sie können fast immer gut Noten lesen und haben Kenntnisse in Musiktheorie, aber dann frage ich mich immer: Von was wollen die eigentlich mal leben? Gibt es irgendeinen erhöhten Bedarf an romantischen Symphonien die exakt klingen wie früher, aber heute geschrieben wurden? Werden dafür große Kompositionsaufträge bereitgestellt, reißen sich die Labels darum? Eher nicht. Dennoch sind diese Interessenten am Kompositionsstudium von dem unerschütterlichen Wunsch beseelt, unbedingt „Komposition“ studieren zu wollen. Manche davon sind sogar begabt, aber scheuen neue Klänge wie Vampire Knoblauch.
Die dritte Kategorie sind die Studierenden, die ganz genau wissen, was zeitgenössische Musik ist, und die das Studium mit einem Plan beginnen: welcher stilistischen Richtung sie sich verschreiben, welche Stipendien sie bekommen und welche Preise sie ergattern werden. Sie sehen das Fach Komposition als eine Art akademisches Karrieresystem auf schnurgeradem Weg zur eigenen Professur, mit dem netten Bonus, dass man ab und zu mal Aufführungen in Neue Musik-Festivals hat.
Aber ist nicht auch das ein viel zu eng gefasstes Verständnis des Fachs „Komposition“? Was ist, wenn man neue Musik erfinden will, die es noch nicht gab, die aber jedermann zugänglich ist, auch ohne akademischen Hintergrund?
Musik, die überall aufgeführt werden könnte, nicht nur vor Spezialisten? Die an keinerlei Genre oder Karriereplan gebunden ist, sondern nur einem inneren Drang folgt? Diesen Studiengang würde ich gerne unterrichten, und eigentlich tue ich es auch. Es ist nur manchmal verdammt schwer, es genau zu erklären.