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Ruf nach Leipzig: Claus-Steffen Mahnkopf. Foto: Charlotte Oswald
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Kompositionsstudium in post-postmoderner Zeit

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Wie positioniert sich die jüngere Komponistengeneration? ·
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Heute Komposition studieren und Komposition lehren, darüber wird öffentlich nicht diskutiert, obwohl die Krise offensichtlich ist. Immer mehr Stellen werden abgebaut, umgewandelt oder bleiben absichtlich lange vakant. Dreieinhalb Jahre nach der Ausschreibung der Nachfolge für Hans Zender an der Musikhochschule Frankfurt wird mitgeteilt, die Stelle würde nicht besetzt. Nach noch längerer Vakanz ist nun die Lachenmann-Stelle in Stuttgart ausgeschrieben: als limitierte Stelle im doppelten Sinne, auf 60 Prozent und 6 Jahre befristet.

Unabhängig von solchen Einzelfällen wird das Fach Komposition im Sinne eines freien, kreativen künstlerischen Faches ohne kommerzielle Absichten immer mehr in Frage gestellt. Man kombiniert es nicht selten mit Film, Elektronik, Multimedia und sonstig Fremdem, so dass die Zahl der Plätze, an denen man das Komponieren studieren kann, drastisch abnimmt. Hinzu kommt ein Generationswechsel: Prominente, erfolgreiche, attraktive Lehrerpersönlichkeiten sind in den letzten Jahren in Pension gegangen – Nicolaus A. Huber, Zender, Lachenmann, schon vor längerer Zeit Klaus Huber –, Adressen, die auch weltweit aufgesucht wurden, weil man wußte, wofür diese Leute standen. Welches Profil haben aber diejenigen, die übrig bleiben, diejenigen, die nachrücken? Leute, die jetzt zwischen 40 und 50 Jahre alt sind und das Ruder in die Hand nehmen, also mitverantwortlich sind für das, was aus der Musik wird? Es ist dringend nötig und längst überfällig, darüber zu diskutieren, wie sich diese neue Generation positioniert, welche Ziele sie verfolgt, welche Werte für sie wesentlich sind, welches Berufsbild sie besitzt, auf welche Art sie unterrichtet, was sie weitergeben will und wie sie das tut – und das heißt auch und leider ganz banal: wer überhaupt in die engere Wahl genommen wird. Ich nehme den Ruf auf den Kompositionslehrstuhl an der Musikhochschule Leipzig zum Anlass, zu diesen Fragen Stellung zu beziehen.

Die Zeit drängt, denn ein dreifacher Wandel ist zu beachten. Zum einen unterliegen die Karrieren von Komponisten im Kunstsystem immer mehr ökonomischen Denkweisen, zum anderen – und das ist die gute Nachricht – sind mit dem Anbrechen einer post-postmodernen Zeit, die man „Zweite Moderne“ zu nennen sich angewöhnte, grundlegende Fragen nach Handwerk, Technik, Ästhetik, Sinn und Unsinn der Neuen Musik, nach Fortschritt und Kunst-Wahrheit wieder erlaubt. Schließlich bricht die Globalisierung auf uns in Europa ein: Dieser Raum wird seiner Geschichte und vor allem seiner Infrastruktur wegen noch lange Zentrum bleiben, ob von ihm freilich Leitlinien – oder nicht vielmehr Orientierungen – ausgehen sollten, ist eine ernstzunehmende Frage.

Das Problem, was es heißt, Komposition zu unterrichten, stellt sich heute doppelt. Einmal durch den Pluralismus, der seit Jahrzehnten zu einem selbstverständlichen Teil der Neuen Musik wurde. Die Zeiten, da wenige Avantgardisten sagten, wo es langgeht, so paradigmatisch wie Stockhausen in den 60er-Jahren, sind längst vorüber und wären überdies auch nur unproduktiv.

Immer wieder wird, von Unsicheren oder Ungläubigen, gefragt, ob man Komposition überhaupt unterrichten könne. Diese Frage ist nicht ganz unberechtigt. Im Gegensatz zum Instrumental- oder Gesangsunterricht ist das Handwerk nicht eindeutig bestimmbar. Tonleitern in allen Geschwindigkeiten und Dynamikstufen ebenmäßig spielen zu können, darüber wird man nicht streiten. Was wäre aber das Äquivalent im Fach Komposition, sofern dies gerade nicht historisch, sondern als radikale Gegenwart verstanden wird? Paradox gesagt: Will das Komponieren gegenwärtig sein, dürfen keine konkreten Techniken gelehrt werden. Sondern – und das haben die besten Lehrer des 20. Jahrhunderts vorexerziert – es geht um kompositorisches Denken: Klarheit in der Konzeption, Klangsinn, Kenntnisse der Klangkörper, die Fähigkeit, sich das eigene Material zu erarbeiten, eine angemessene Notation zu finden, eine eigene Sprache, um über die Dinge zu sprechen, Formgefühl und ein Gespür für Zeit. Ob der Student eher ein Melodiker, ein Rhythmiker, ein Klangmagier oder ein Harmoniker ist, ist bereits eine nachgeordnete Frage. Denn zu einer eigenen musikalischen Sprache zu finden, das kann der Student nur selber, der Lehrer muss ihn unterstützen, will heißen: ihn behutsam, aber zuweilen auch hart mit sich selber konfrontieren. Es geht dem Studenten um Folgendes: viel zu kennen und zu wissen, aber dann das Eigene daraus zu filtern und es mit genuin Kreativem – Neuem – zu kombinieren.

Insofern ist – und das ist meine tiefe Überzeugung – der Kompositionsunterricht zu einem großen Teil Empathie. Der Lehrer sollte nur in einem tiefen Respekt vor dem Gegenüber agieren. Das schafft nur der, welcher mehr an die Musik als an Heilslehren glaubt, wer bereit ist, sich – immer wieder von neuem – zu öffnen und sich selber in Frage stellen zu lassen, wer sich auch außerhalb der Hochschule bewegt und wer, altmodisch ausgedrückt, „gebildet“ ist.

Integration und Ausstrahlung

Letztlich ist der Kompositionslehrer (fast) alles. Er ist Künstler und Musiker, der Praktiker und der Theoretiker, der Historiker und der Visionär, der Wissenschaftler und der Mann der Spekulation, er ist der strenge Lehrer und der Psychologe, nicht zuletzt ist er Ansprechpartner für alle möglichen Probleme aus dem Leben. In den 15 Jahren, in denen ich unterrichtete, festigte sich die Einsicht, dass jeder Kompositionslehrer eine Art Psychoanalyse durchlaufen haben sollte, so wie der Analytiker eine Lehranalyse hinter sich hat, um nicht seine eigenen Probleme auf den Patienten zu übertragen. Denn vergessen wir nicht: Wenn am Ende des Studiums der Student wie der Lehrer schreibt, dann stimmt etwas prinzipiell nicht.

Der Kompositionslehrer an einer Hochschule hat meines Erachtens im Wesentlichen zwei Aufgaben zu erfüllen: Integration nach innen und Ausstrahlung nach außen. Er ist in vielfältiger Hinsicht mit den übrigen Fachrichtungen vernetzt, so dem Bereich Tonsatz/Theorie, denn Komposition unterrichten ist immer auch eine Beschäftigung mit aller Musik und damit mit deren theoretischen und tonsetzerischen Grundlagen, so mit dem Bereich Wissenschaft, und natürlich mit dem Bereich der Praxis, der instrumentalen, sängerischen und dirigierenden Realisierung. Daher sollte das im Studium Komponierte auch in Konzerten erklingen. Der Kompositionslehrer ist aber nicht nur Vertreter seiner Lehrinhalte. Er sollte ein Künstler sein, der auch außerhalb wirkt und in gewisser Weise an hervorgehobener Stelle die zeitgenössische Musik vertritt, die immer stärker im kulturellen Diskurs legitimiert, das heißt auch einfach nur erklärt werden muss. Insofern ist der Kompositionslehrer heute kaum noch ein einsamer Künstler. Er unterrichtet nicht nur Komposition, er ist – etwas emphatisch ausgedrückt – Erzieher in Sachen Kreativität. Nur wenn er das nach außen glaubwürdig vertritt, wird ihm jener Kredit gewährt, ohne den es in meinen Augen heute „klassische“, also Kunst-Musik insgesamt immer schwerer hat.

Orientierung am Meister

Ich persönlich versuche mich in meiner Unterrichtstätigkeit an den Meistern der Vergangenheit zu orientieren. Zuerst ist Schönberg zu nennen: die Strenge und Genauigkeit seines Unterrichtens und seine tiefe Verwurzelung in der Tradition. Was von ihm indes nicht übernommen werden kann, sind das Sendungsbewusstsein und der autoritäre Stil. Olivier Messiaens umfassende musikalische Bildung und Offenheit, die vielleicht daher rührt, dass er erst 1966 eine Kompositionsklasse führen durfte. Von Klaus Huber die Passion des Lehrers, die dahin führt, auch denen eine Chance zu geben, denen unter mehr oder weniger strengen akademischen Kriterien keine Chancen eingeräumt würden. Schönberg war der Mittler zwischen Tradition und den anderen Planeten, Messiaen wusste die Serialisten genauso wie die école spectrale zu unterrichten, und Hubers „Freiburger Schule“ setzte Maßstäbe für den prosperierenden Neue-Musik-Diskurs.

Gleiche Augenhöhe

Wer heute Komposition erfolgreich unterrichten will, muss die Studenten – deren kultureller, das heißt geografischer und musikalischer Hintergrund unterschiedlicher gar nicht gedacht werden kann – in ihrer ganzen Individualität ernst nehmen. Eine Schule begründen oder die Denkweise des Lehrers implantieren zu wollen, wäre fatal und auch pädagogisch widersinnig: Es geht darum, ein Klima zu schaffen, das es erlaubt, dass „Schüler“ und „Lehrer“ sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Dialektisch heißt das aber: Der Lehrer muss über eine gefestigte Position, ein eigenes geschärftes Profil verfügen, man muss wissen können, woran man bei ihm ist – nur wenn er souverän ist, kann er von seinem Eigenen abstrahieren.

Bestimmte Standards im Komponistendiskurs wurden im 20. Jahrhundert durchgesetzt: technische Aufgeklärtheit, konzeptuelle Reflektiertheit und Praxisnähe. Das ist, zumindest prinzipiell, selbstverständlich. Es stellt sich somit die Frage, ob heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, mit dem In-die-Jahre-Kommen meiner Generation etwas Weiteres hinzutreten sollte. Ich denke „ja“ und meine eine umfassende Kulturkompetenz aus einer vertieften ästhetischen Reflexion, einem humanistischen Kulturbegriff, aus sozialer Verantwortung und globaler Sensibilität. Vielleicht sollte man sich heute, da nach dem zweiten „Ende der Kunst“ (erst Hegel, dann Arthur Danto) die Kunst nichtsdestotrotz weitergeht, der Renaissance besinnen, die in Italien den bis heute weltweit dichtesten Kulturraum ausprägte. Die Künstler damals waren nicht nur Meister ihres Faches, sie waren Wissenschaftler, Theoretiker, Visionäre, Poeten, Politiker im griechischen Sinne – und sie waren Menschenfreunde, glaubend an die Verbesserbarkeit der Menschheit. Sie sind unsere Vorbilder.

Was sollte – idealiter – ein Student am Ende seines Studiums „können“? Es sollte in ihm eine breite und vor allem tiefe Basis gelegt worden sein, auf die gestützt er in seinem langen und krisenreichen künstlerischen Werdegang über ein ausreichendes Widerstandspotential verfügt, um sich von allen Moden und zweideutigen Angeboten freihalten, vor allen zerstörerischen Urteilen schützen und davor bewahren zu können, dass er es sich selber zu leicht macht, kurz: eine Basis, um dieses schwierige künstlerische Leben schöpferisch und mit einem Ethos für die Sache zu leben.

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