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Als ich die Revolution ausrief

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Vor ein paar Tagen habe ich mir einen FM-Transmitter für meinen iPod gekauft. Da mein Black Blitz nur ein altertümliches CD-Autoradio ohne USB, GPS und Sexmaschine hat, konnte ich meinen iPod im Auto bisher leider nicht nutzen. Doch für diesen Fall gibt es jetzt solche FM-Transmitter. Das sind kleine UKW-Sender, mit deren Hilfe man die Musik des iPod irgendwie per Strahlung zum Autoradio übertragen kann. Tolle Sachen gibt‘s. Man sucht sich am Autoradio eine Frequenz, auf der kein Radiosender sitzt, stellt die gleiche Frequenz an dem kleinen FM-Dingens ein, schließt den iPod daran an, und schon hat man köstliche Musik im Autoradio drinnen und somit auch in der Fahrgastkabine. Und es funktioniert sogar. Die Qualität ist nicht gerade exquisit, aber zum Mitsingen und -schunkeln reicht es allemal.

Immerhin ist man mit dem Dingens so eine Art Lokalsender und der ist normalerweise genehmigungspflichtig. Da die Reichweite des Geräts aber nicht besonders hoch ist, darf man es nach irgendeiner EU-Dingsbumsnorm sogar in Deutschland betreiben.

Der Hersteller beziffert die Reichweite mit drei bis neun Metern. Da könnte unsereiner glatt auf kreative Gedanken kommen. Ein Radius von neun Metern in einem Stau oder an einer roten Ampel könnte mit Sicherheit einige Pkws erreichen. Also kann man den obigen Satz wie folgt umformen: Man könnte an dem Sender die Frequenz des meistgehörten Senders der Gegend einstellen, und schon könnte man sich in das laufende Programm des betreffenden Senders einklinken. Wie gesagt: könnte. Denn so was ist mit Sicherheit strafbar. Aber ich sehe da ganz zauberhafte Anwendungsbereiche für den Feierabendverkehr:

SWR3 mit den Verkehrsmeldungen:
A 80 Stuttgart-Heilbronn kkkkkchch zwischen der Anschlussstelle ... kkkkrch bizzl kkkrch ... Weinsberg ... kkkkrch bizzl rausch ...
Lauter Fanfarenstoß
ACHTUNG, ACHTUNG!
HIER SPRICHT DER REVOLUTIONSRAT DER DEUTSCHEN ARBEITERKLASSE!
SEIT GENAU 17 UHR 30 HALTEN DEUTSCHE ARBEITER DEN DEUTSCHEN BUNDESTAG BESETZT. DIE IMPERIALISTISCHE MARIONETTENREGIERUNG DES INTERNATIONALEN KAPITALS IST ABGESETZT UND UNTER ARREST GESTELLT. DIE BUNDESKANZLERIN HAT SICH INS AUSLAND ABGESETZT. UM 17 UHR 48 HABEN UNS DIE STREITKRÄFTE DES HEERES, DER MARINE UND DER LUFTWAFFE IHRE UNEINGESCHRÄNKTE LOYALITÄT UND SOLIDARITÄT ZUGESICHERT.
UM GENAU 19 UHR WIRD DER REVOLUTIONSRAT AUF ALLEN RADIO- UND FERNSEHKANÄLEN EINE ERKLÄRUNG AN DAS VOLK ABGEBEN.

Lauter Fanfarenstoß, anschließend der Bergmannschor Zeche Paula, Rheinhausen:

Roter Wedding, grüßt euch, Genossen,
Haltet die Fäuste bereit!
Haltet die roten Reihen geschlossen,
Denn unser Tag ist nicht weit!

Ich schaue mich unauffällig um und sehe mehrere verdutzte Gesichter ungläubig aus den umstehenden Autos herausglotzen. Ich reiße die Fahrertür meines Black Blitz auf, springe hinaus auf die Straße und brülle wie ein Ochse:

REVOLUTION!!! REVOLUTION!!! ES IS‘ REVOLUTION!!! HURRA!!! HABT IHR ES AUCH ALLE GEHÖRT? GRÜSST EUCH GENOSSEN!!! REVOLUTION!!! ENDLICH!!! HURRA!!!

Rechts neben dem Black Blitz steht ein LKW der Städtischen Gärtnerei, aus dem sich eine Kleingruppe Italiener wälzt, lauthals die Internationale brüllend. Natürlich auf Italienisch. Die Neuigkeit von der Revolution verbreitet sich wie ein Lauffeuer und überall steigen Leute hektisch aus ihren Autos und plappern freudig erregt durcheinander. Direkt neben mir steht ein dicker Daimler, dessen Fahrer das muntere Treiben wie gelähmt verfolgt. Muss wohl einen anderen Sender gehört haben. Und schon trommeln meine Italiener wie verrückt auf seine Motorhaube und rufen unisono VIVA, VIVA, LA RIVOLUZIONE!!! Der Mann steht offensichtlich unter Schock. In der Unterstadt sind bereits die ersten Polizeisirenen zu hören und am Horizont Richtung Industriegebiet steigen dichte, pechschwarze Rauchwolken auf. Vereinzelte Detonationen in der Ferne lassen den Asphalt unter meinen Füßen erzittern. In meiner Jackentasche trage ich den iPod samt FM-Transmitter, immer noch die Revolution verkündend, und laufe die immer länger werdende Blechkarawane ab. Auf dem Dach eines alten Renaults steht eine junge Frau und spricht zu der immer größer werdenden Menschenmenge: Die sozialistische Revolution ist kein einzelner Akt, keine einzelne Schlacht an einer Front, sondern eine ganze Epoche schärfster Klassenkonflikte, eine lange Reihe von Schlachten an allen Fronten ...

Überall sehe ich Menschen in ihren Autos sitzen, mit glänzenden Augen der Botschaft von der Revolution lauschend. Es ist fast wie damals, 1954, während des Endspiels ...
Da kann man mal wieder sehen, welch positive Folgen die Technik für die Menschheit haben könnte.

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