Gestern informierte der Deutsche Kulturrat in einer Eilmeldung über eine ungeheuerliche Entwicklung: Danach bestreben es einige Bundesländer, die Künstlersozialversicherung abzuschaffen oder zumindest zu reformieren.
Der Deutsche Kulturrat schreibt: „Klammheimlich, versteckt in einer Empfehlung (Bundesratsdrucksache 558/1/08 vom 08.09.2008) zum 'Entwurf des Dritten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere der mittelständischen Wirtschaft (Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz)' (Bundesratsdrucksache 558/08) haben der federführende Wirtschaftsausschuss, der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten sowie der Finanzausschuss des Bundesrates mit den Stimmen der genannten Länder beschlossen: 'Der Bundesrat fordert, dass die Künstlersozialversicherung abgeschafft oder zumindest unternehmerfreundlich reformiert wird.'
Die Reaktionen darauf von ver.di, Deutschem Kulturrat und dem Deutschen Musikrat ließen nicht lange auf sich warten.
„Die gestern von vier Ausschüssen des Bundesrats beschlossene Empfehlung zur Abschaffung der Künstlersozialkasse ist ein Schlag ins Gesicht aller freiberuflichen Kultur- und Medienschaffenden in diesem Land“, kritisierte der stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Werneke.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: „Die von Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein betriebene Abschaffung der Künstlersozialversicherung ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Weil vor einem Jahr der Deutsche Bundestag die Künstlersozialversicherung erfolgreich reformiert hat und jetzt endlich alle schon seit 20 Jahren abgabepflichtigen Unternehmen und auch öffentlichen Körperschaften zur Zahlung herangezogen werden, wird von einem zu großen bürokratischen Aufwand gesprochen. In Wirklichkeit geht es den sieben Bundesländern darum, die abgabepflichtigen Unternehmen und öffentlichen Körperschaften auf Kosten der Künstler von ihren Sozialversicherungspflichten zu befreien. Die Künstler sollten sich das nicht gefallen lassen!“
Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates: „Die Existenz vieler Künstler und Musiker würde ernsthaft gefährdet, wenn die Künstlersozialversicherung tatsächlich wegfallen würde. Bei einem jetzt schon sehr geringen durchschnittlichen Jahreseinkommen von 10.754 Euro wäre es dem einzelnen Musiker kaum möglich, allein für seine soziale Absicherung aufzukommen. Zudem würde die Abschaffung der Künstlersozialversicherung eine indirekte Kürzung der Kulturförderung bedeuten, da der Bund sich finanziell bei der Künstlersozialversicherung beteiligt. Es ist grotesk, dass es überhaupt Überlegungen zur Abschaffung der Künstlersozialversicherung gibt, wo doch überparteilicher Konsens darüber besteht, dass Deutschland im globalen Wettbewerb nur als Wissens- und Kreativgesellschaft bestehen kann. Für diesen Entwicklungsprozess, bei dem wir erst am Anfang stehen, bilden die Kreativen das Fundament. Gerade der einzelne Künstler muss durch die Verbesserung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen noch mehr als bisher gestärkt werden.“
Eigentlich kann man sich auf diese Entwicklung keinen Reim machen, hat doch erst die Kultur-Enquete sich grundsätzlich und verschiedenste Gutachter sich für die Entwicklung und positive Reform dieser Einrichtung ausgesprochen. Ginge es nur um den Bürokratieabbau, ließen sich mindestens ebenso viele andere Orte finden, dies zu bewerkstelligen. Im Übrigen sind auch die Künstler in gewisser Weise Unternehmer. Ihnen gegenüber kann den Vorschlag mindestens nicht als unternehmerfreundlich bezeichnen.
Nachtrag: Der Vorschlag in der Bundesratsdrucksache 558/1/08 im Wortlaut:
Der Bundesrat fordert, dass die Künstlersozialversicherung abgeschafft oder zumindest unternehmerfreundlich reformiert wird. Der Aufwand bei der Feststellung der Abgabenpflicht und bei der Durchführung des Verfahrens, die verstärkten Kontrollen durch die Deutsche Rentenversicherung bei der Ermittlung der abgabepflichtigen Unternehmen sowie die Verpflichtung zur Beantwortung eines mehrseitigen Fragebogens führen zu einer großen Bürokratie. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sind durch die nun flächendeckend erfolgende Erfassung diesem bürokratischen Aufwand ausgesetzt. Der Aufwand überschreitet die erzielten Mehreinnahmen der Künstlersozialkasse erheblich und ist damit unangemessen hoch. Außerdem besteht infolge der komplizierten gesetzlichen Regelungen keine Klarheit über den Umfang der Abgabepflicht. Die Höhe der Kosten bei der Auftragsvergabe von Leistungen, die eventuell unter die Abgabepflicht fallen können, ist für Auftraggeber nicht genau kalkulierbar. Nicht nachvollziehbar ist, dass die Abgabepflicht in mehreren Fällen auch dann besteht, wenn der betroffene Künstler, Grafiker oder Publizist gar nicht bei der Künstlersozialversicherung versichert ist. Hinzu kommt die große Verunsicherung der Unternehmen im Hinblick auf die rückwirkende Abgabepflicht für fünf Jahre. Die Nachforderungssummen haben inzwischen eine Höhe von über 13 Mio. Euro erreicht. Der lange Rückwirkungszeitraum wird der Tatsache nicht gerecht, dass bisher über den Umfang der Abgabeverpflichtung in der Künstlersozial-versicherung nicht ausreichend aufgeklärt wurde.
Unterdessen gibt es Stimmen, die das alles als Missverständnis deuten. Der Regierende Bürgermeister von Bremen sagte dazu gegenüber der tagesschau:
Böhrnsen erklärte, Anfang September hätten sich eine Reihe von Fachunterausschüssen des Bundesrats mit dem Entwurf des Gesetzes befasst. "Durch ein bedauerliches Missverständnis auf Arbeitsebene ist dabei in einem solchen Gremium auch über die Abschaffung Künstlersozialversicherung abgestimmt worden."
Was aber ist ein bedauerliches Missverständnis? Und was bedeutet das für die Politikfähigkeit derjenigen, die uns für uns regieren?