Hauptbild
Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Auf Bestellung

Untertitel
Absolute Beginners 2022/02
Publikationsdatum
Body

Man stelle sich Folgendes vor: Bei Wolfgang Rihm klingelt das Telefon, am anderen Ende ist ein wohlhabender Bürger der Stadt Karlsruhe. „Lieber Herr Rihm, ich bewundere Ihre Musik sehr! Wissen Sie, ich habe ein Problem – ich kann nachts nicht schlafen. Daher dachte ich mir: Können Sie mir vielleicht ein paar nicht zu aufregende Klavierstücke schreiben, die mir mein Neffe am Keyboard vorspielen kann und die mich ein wenig aufheitern könnten? Am besten einen ganzen Zyklus?“.

Man kann sich unschwer vorstellen, was ein etablierter und bewunderter Komponist wie Rihm zu solch einem Ansinnen sagen würde, vermutlich hielte er es für einen schlechten Scherz. In unserer Welt der staatlich oder von Stiftungen geförderten Aufträge wäre die Annahme eines solchen Auftrags für viele quasi ehrenrührig, man würde sich schämen, in die Niederungen einer privaten Dienstleistung hinabzusteigen. Wer aber jemals die Vergangenheit studiert hat, wird schnell feststellen, dass es geradezu von bedeutenden Werken wimmelt, die so oder ähnlich entstanden sind. Ob die oben angedeuteten „Goldberg-Variationen“ von Bach – eines der größten Meisterwerke der Musikgeschichte – wirklich für den schlaflosen Grafen Keyserlingk entstanden, ist musikhistorisch umstritten. Unumstritten ist aber, dass einer der ersten Biografen Bachs (Forkel, 1802) diese Entstehungsgeschichte keineswegs als herabwürdigend für den großen Meis­ter empfand und sie daher ausdrücklich erwähnte. Aber Bach ist keineswegs ein Einzelfall – auch Komponisten wie Beethoven, Schubert oder Chopin schrieben großartige Stücke aufgrund von Aufträgen von Privatpersonen. Heute würde man solche Aufträge fast verschämt „Gelegenheitskompositionen“ nennen, aber genau diese „Gelegenheitskompositionen“ haben in vielen Fällen Musikgeschichte geschrieben.

Um vom Komponieren leben zu können, braucht man Gelegenheiten. Solche Gelegenheiten nicht nur des Auftragsgeldes wegen zu ergreifen, sondern daraus auch künstlerisch bedeutende Werke zu formen, ist etwas, das wirklich gute Komponistinnen und Komponisten auszeichnet. Niemand hindert einen daran, eine solche „Dienstleistung“ zum Anlass zu nehmen, ein kompositorisches Experiment zu wagen oder etwas ganz Besonderes zu schaffen.

Einige meiner Leserinnen und Leser werden sich an diese Geschichte erinnern: Ein Privatier wandte sich an unsere Musikhochschule und beauftragte vier meiner Studierenden mit einem Orchesterwerk zum Gedenken an seine Frau. Die Geschichte ist inzwischen erfreulich weitergegangen: Inzwischen stehen diese Uraufführungen bei den Europäischen Festwochen in Passau auf dem Programm, ein professionelles Orchester wird sie realisieren. Zudem wurden alle meine Studierenden vom Auftraggeber mit guten Honoraren versorgt, natürlich sind sie darüber in diesen schwierigen Zeiten ganz besonders froh. Am Ende dieser Geschichte sind hoffentlich alle glücklich – der Auftraggeber, der sein Geld gut bei jungen Talenten angelegt weiß und diese im Namen seiner Frau fördert, die Europäischen Festwochen, die gleich vier große Uraufführungen auf einmal präsentieren können, und natürlich auch die Studierenden, die eine für jungen Nachwuchs seltene Gelegenheit für eine Orchesterkomposition nutzen können, eine ganz wichtige Erfahrung auf ihrem weiteren Weg. Mein Gefühl ist, dass wir in der Zukunft zunehmend solche privaten Initiativen brauchen werden. Die Gemengelage von Inflation und gleichzeitig zu erwartenden Kulturkürzungen lässt nichts Gutes für die Honorarsituation von angehenden Talenten erwarten, daher werden sie mehr denn je auf private Aufträge angewiesen sein. Ich bin sehr froh über unser staatliches Förderungssystem, aber ohne wachsende private Unterstützung (die z.B. auch eine Ernst-v.-Siemens-Musikstiftung unverzichtbar bietet) wird es für Kunstmusik sehr schwer werden. Vielleicht wiederholt sich dann die Geschichte und wir finden wieder Widmungen wie die an die „Gräfin Erdödy“, die so viele Beethovenpartituren zieren. Ich denke, Beethoven hat ihr keine Schande gemacht. Und Frau Erdödy kann stolz sein, jemanden wie Beethoven gefördert zu haben.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!