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Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
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Auf der Suche nach der Handlung

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Absolute Beginners 2022/06
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Kompositionsunterricht ist oft sehr technisch. Viele Stunden verbringe ich mit Fragen der Notation, Instrumentenkunde und der Theorie – alles handwerkliche Aspekte des Berufes, die man auch in Lehrbüchern nachlesen kann. Auf YouTube kann man hunderte Videos finden, in denen einem fähige Musiker:innen die Spieltechniken ihrer Instrumente sowie tausende von Multiphonics erklären. Wenn man aber als Suchbegriff eingibt „Wie schreibe ich ein spannendes Stück Musik?“ wird man leider nicht fündig.

Ja, es gibt Ratgeber wie „Wie schreibt man einen guten Song?“, aber das sind im Grunde nur Tipps, die schon vorhandenes analysieren und imitieren. Hätten die Beatles anhand solcher Videos das Songschreiben erlernt, wäre ihnen kein einziger origineller Song gelungen.

Es bleibt immer ein bisschen ein Geheimnis, was ein „spannendes“ Musikstück ausmacht. Das liegt daran, dass „spannend“ erst einmal ein sehr subjektiver Begriff ist. Für manche sind Stücke von Morton Feldman unglaublich „spannend“, andere empfinden sie als eine Art unangenehme Geduldsprobe. „Spannung“ in der Musik hat also sehr viel mit der eigenen Hingabe zu tun. Wer tief in die Wagnersche Welt eingetaucht ist, jahrelang nach Karten für Bayreuth gesucht hat und dann endlich auf den harten Stühlen im Festspielhaus Platz nimmt, der wird sich dringend bemühen, dieses Erlebnis auch als befriedigend und spannend zu empfinden, ansonsten würde man alle seine bisherigen Bemühungen in Frage stellen. Auch die typische „Klassikliebhaberin“ nimmt ihre Kenntnis des Kanons mit einem gewissen Stolz mit ins Konzert, wartet auf Stellen, die sie schon kennt und fühlt sich als überdurchschnittlich engagierte Hörerin, da sie vielleicht schon als Kind im Chor gesungen oder Klavierstunden gehabt hat. Es gibt also einen starken Eigenanteil von dem, was musikalische Faszination ausmacht. Aber das sind alles Erlebnisse der Wiederholung und der Museumskultur – leicht vergisst man nämlich, dass auch ein populäres Stück des Konzertlebens irgendwann zum ersten Mal erklang und dann faszinierend und spannend genug sein musste, um überhaupt erst einmal wiederholte Aufführungen zu erzeugen.

Ich habe keine perfekte Antwort darauf, warum manche Stücke einen packen und quasi zum Weiterhören zwingen und andere nicht. Aber ich halte es für meine Pflicht als Lehrer, gerade diese Aspekte besonders ausführlich mit meinen Studierenden zu diskutieren. Hierzu verwende ich sehr oft Beispiele aus anderen Künsten, besonders gerne aus Filmen, Büchern und Theaterstücken. Das „retardierende Moment“ in einem Actionfilm etwa, wenn also nach einer actionreichen Autoverfolgungsjagd erst einmal wieder eine ruhige Szene kommt, um Kontrast und Lust auf die nächste Actionszene zu erzeugen, ist jederzeit auch auf Musikstücke anzuwenden. Aber ganz besonders wichtig finde ich, dass Stücke eine Handlung haben, dass etwas passiert, dass man nicht einfach nur in einen musikalischen Zustand hineingeworfen wird, der irgendwann anfängt und irgendwann endet (was ich immer besonders unbefriedigend und selbstgenügsam finde). Ein kurzes Stück oder eine Miniatur kann wie eine charmante Momentaufnahme sein, die man wieder genießen möchte. Ein längeres Stück dagegen braucht definitiv eine Dramaturgie. Im besten Fall ist das Stück durch eine Geschichte gegangen, an deren Ende sowohl die Musik als auch die Hörerin oder der Hörer nicht mehr dieselben sind. Genau ein solcher Gedanke liegt der dramaturgisch erfolgreichen Sonaten- und symphonischen Form zugrunde, aber natürlich gäbe es tausend andere Wege, ähnliches zu erreichen.  Insgesamt ist in der Neuen Musik in den letzten Jahren ein Trend zu Stücken zu beobachten, die auf eine solche „Handlung“ verzichten und sich dagegen an technischen oder klanglichen Phänomenen abarbeiten, an Systemen, Konzepten oder Methoden. Eine erfolgreiche Wiederentdeckung des simplen Erzählens könnte hier vielleicht wieder wichtige Impulse geben. Es wäre nicht das erste Mal in der Musikgeschichte, dass eine bestimmte Kunstfertigkeit aus dem Fokus gerät und dann wiederentdeckt wird. Wenn ich dazu mit meinem Unterricht einen kleinen Teil beitragen kann, würde es mich sehr freuen.

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