Große Auftritte, kleine Folgen: Vielerorts wurde der Auftritt von Marcel Reich-Ranicki beim Deutschen Fernsehpreis von der Kritik erfreut beklagt. Auftritt und Kritik bleiben jedoch eine Luftnummer. Reich-Ranicki, der wohl zwischen Helge Schneider und Helen Schneider nicht zu unterscheiden vermag, war der perfekte Aufmerksamkeitsablenker, zu allem Überfluss womöglich nicht einmal selbstverschuldet.
Dabei wird seit einigen Jahren schon hartnäckig am Körper des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekämpft. Die Initiative „Das GANZE Werk“ kämpft sich Sendestrecke für Sendestrecke, Jingle für Jingle, durch den aktuellen Rundfunkwahnsinn und macht trotzig manchen Boden gut – gegen die zunehmende Selbstdisqualifizierung des Rundfunks im Norden und in Berlin. Statt spektakulärer Scheingefechte im sinnentfernten Fernsehprogramm werden hier kreativ und präzis diskussionswürdige Entwicklungen kritisiert und dokumentiert.
Manchmal haben kleine Änderungen aber auch große Wirkungen. So will die Stadt Hamburg den Bereich der Außenwerbung neu gestalten, zahlreiche Werbemöglichkeiten im Litfassformat sollen danach hübschen „City-Light-Säulen“ weichen, die zu nutzen zwar schön sein mag, aber eben auch teurer. Die restlichen Kultursäulen seien an Zahl zu gering und permanent überbucht, heißt es vom Verband deutscher Konzertdirektionen. Kurzfristige Plakataktionen würden danach zukünftig ebenso erschwert bis unmöglich, so dass man zur „Aktion“ zu greifen in Erwägung zieht: „In dieser Situation wird Wildplakatierung für manchen wieder eine Option“, liest man beinahe erstaunt in der Pressemeldung des Verbandes.
Nur Option? Die Option könnte immer mehr zur Pflicht der kulturellen Selbstverteidigung werden. Vielleicht ist es wirklich nicht das Schlechteste, wenn ein bisschen Anarchie in die durch- und wohlorganisierte Kultur einkehrte, so antragsverseucht wie sie unterdessen geworden ist oder so aufmerksamkeitsverzehrend wie in den großen Medien.