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Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
Moritz Eggert am Klavier. Foto: Hufner
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Aus einem Brief an die Mutter einer begabten jungen Komponistin

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Absolute Beginners 2020/04
Publikationsdatum
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„… Mir wurde als jungem Komponisten unterschiedlichster Rat gegeben – mancher war gut, manchmal war er falsch. Ich habe immer versucht, dem Rat zu folgen, der mich inspiriert hat, und den Rat zu meiden, der mich blockierte. Am Ende ist es so: Wenn man als Künstler jemanden braucht, der einem exakt sagen kann, was man tun muss, hat man wahrscheinlich den falschen Beruf gewählt.

Kreativität ist wild und sollte ungezähmt bleiben. Kritik hilft dabei, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, aber manchmal muss man – besonders wenn man künstlerisches Talent hat – an etwas festhalten, was erst einmal nicht gefällt. Wenn die großen Komponist*innen der Vergangenheit immer darauf gehört hätten, was man zu ihrer Zeit als ,richtig’ empfand, wäre in der Musikgeschichte nicht viel geschehen.

Sicherlich haben viele Lehrer Ihrer Tochter gesagt, sie solle möglichst neugierig sein und sich mit unterschiedlichster Musik beschäftigen. Das ist nach meiner Ansicht ein sehr guter Rat. Unersättliche Neugier ist die wichtigste Eigenschaft für jede*n Künstler*in.  Dass Ihre Tochter in diesem Entdeckungsprozess plötzlich viele ihrer eigenen bisherigen Werke ablehnt oder als minderwertig empfindet ist dabei ein normaler Vorgang, den alle angehenden Komponist*Innen erleben. Diese Phase geht vorüber, und es wird eine Zeit geben, in der sie ihre Frühwerke wieder mit mehr Wohlwollen betrachten wird. Aber im Moment ist es richtig, dass sie so selbstkritisch ist. Und ja, das kann auch schmerzhaft sein.

Das ist mein vielleicht wichtigster Rat: All dies sollte sie nicht besorgen. Lassen Sie sie einfach machen. Schützen Sie sie vor Situationen, in denen andere Personen irgendetwas in sie hineinprojizieren. Verschaffen Sie ihr Gelegenheiten, wenn sie dies möchte, aber lassen Sie niemanden außer ihr selber Entscheidungen über die Nutzung dieser Gelegenheiten treffen.

Alles, was sie von ihren Selbstzweifeln schreiben, klingt sehr nach einer ganz „normalen“ talentierten 14-Jährigen: die Verwirrungen und Irrungen, das Gefühl, sie hätte „ihre Stimme verloren“ und so weiter. Der Weg zu einer erfolgreichen Komponistin ist nicht gerade – es geht bergan und bergab, und es gibt Umwege und Nebenpfade. Alle 14-Jährigen erleben diese Krisen, aber als Begabte ist sie besonders sensibel dafür.

Wenn sie eine echte Künstlerin ist, wird sie dies meistern, und auch die Krisen werden Teil ihres Wachstumsprozesses sein. Aber weder Sie noch ich wissen wirklich, ob der Weg einer Komponistin ,ihr’ Weg ist, das wird sich bei ihr erst mit Mitte oder Ende Zwanzig zeigen, und es wird allein ihre Entscheidung sein, egal welche Hoffnungen sie in diesem Moment für ihre Karriere haben.

Wir müssen mit ihr geduldig sein – sie braucht die Zeit jetzt, für sich selbst, und es ist nur gut, wenn am Ende die Entscheidung darüber ihre eigene ist.

Sie wird merken, dass sie nicht alleine ist, wenn sie möglichst viel Kontakt mit anderen jungen Musiker*innen und Komponist*innen hat. Die größte Gefahr für uns Komponisten ist die Einsamkeit. Wir sehnen uns danach, aber sie ist nicht gut für uns. Daher gibt es in der Geschichte so viele erfolgreiche „Kompositionsschulen“: weil gleichgesinnte Künstler*innen sich fanden und gegenseitig im Austausch inspirierten. Ihre Tochter sollte daher diesen Austausch suchen. Ich wünsche ihr alles Gute!“

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