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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Aus Mangel an Gelegenheit

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Absolute Beginners 2024/10
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Komponieren lernt man nur durch Komponieren, und dazu braucht es Gelegenheiten. Im 19. Jahrhundert spielten die Opernhäuser und Orchester vornehmlich neuestes Repertoire aus demselben Jahrhundert. Heute spielt man fast das gleiche Repertoire, nur ist es nicht mehr neu. 

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Damit einher geht auch eine Veränderung der sich bietenden Chancen für Kompositionsnachwuchs. Im 19. Jahrhundert war der Bedarf an neuen Opern und Orchesterwerken groß, daher bekamen auch neue Talente eine Chance. Und dies sogar mehrmals: Richard Wagner durfte zweimal grandios mit den „Feen“ und „Liebesverbot“ scheitern, bevor ihm mit „Rienzi“ ein erster, wenn auch umstrittener Achtungserfolg gelang. Würde man heute einer Nachwuchskomponistin ebenso eine zweite und dritte Chance geben? Das ist mehr als fraglich.

Überhaupt ist in den letzten Jahrzehnten ein zunehmendes Ausdünnen von Gelegenheiten für das Ausprobieren von großen Formen zu beobachten. Für junge Komponierende ist es inzwischen schwer bis unmöglich einen Orchester- oder Opernauftrag zu bekommen. Im Bereich Musiktheater sind die Chancen am größten, wenn es um Kammeropern für Kinder und Jugendliche geht, aber das liegt nicht allen. Aber auch in der Kammermusik sieht es nicht besser aus – an vielen Orten überleben Kammermusikreihen nur noch mühsam, und selbst Klassikstars füllen nicht mehr mit Beethoven-Sonaten automatisch große Säle. Da haben es neue Werke schwer, vor allem, weil viele Veranstalter GEMA-Gebühren als Ausrede benutzen, keinerlei zeitgenössische Musik mehr zu programmieren. Es entsteht daher zunehmend eher konzeptionell, elektronisch oder performativ geprägte Musik, die von „Composer Ensembles“ selbst aufgeführt werden kann, zur Not nur mit Laptop.

Die heutigen technischen Möglichkeiten verführen junge Komponierende ohnehin zunehmend dazu, „digital“ zu komponieren. Es entsteht haufenweise Orchestermusik vor allem für Film- und Computerspiele, die überhaupt nicht mehr von Menschen gespielt wird. Zunehmend geht dabei beim Komponieren das Gefühl für Instrumente verloren, das Grundlage für ausgefeilte Orchestrationskunst ist – wer auf Knopfdruck Harfenglissandi bekommt, muss nicht mehr darüber nachdenken, wie die komplexen Pedalstellungen auf der Pedalharfe in Wirklichkeit funktionieren. Diese Kenntnis ist aber notwendig, um nicht generische, sondern charakteristische Musik zu komponieren. Mit KI kommt nun auch noch ein neuer Player ins Spiel – es wird Musik produziert, die nicht im Geringsten mehr an menschliche Limitationen gebunden ist. Dass zum Beispiel die KI-produzierte Flamenco-Musik die in einer Bar im Hintergrund gespielt wird, gar nicht auf der Gitarre spielbar wäre, fällt dem Durchschnittshörer nicht auf – es klingt „wie Flamenco“, das reicht. Es ist müßig, über diese Entwicklung zu lamentieren, es muss uns aber klar sein, dass das Schreiben für akustische Instrumente und lebende Menschen eine hohe Kunst darstellt, die geübt werden will, die eine besondere Qualität hat, und die nur mit Gelegenheit zur Blüte kommt. Umso wichtiger wäre es, wenn die existierenden Klangkörper unseres Landes sich noch dezidierter dem Nachwuchs zuwenden würden, um ihm diese Gelegenheiten zu verschaffen. 

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