Leserbrief zum Bericht über die Uraufführung der Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“ in der nmz 10/06, S. 47
Muss das Thema „KZ Auschwitz“ für eine Oper beziehungsweise ein Opern-Libretto tabu sein? Wer meint, sich dabei auf Theodor W. Adorno berufen zu müssen, übersieht (oder weiß nicht), dass bereits im Werk der Dichterin Nelly Sachs Adornos Auffassung eine Umkehrung erfahren hat. Das Thema Auschwitz darf auch für eine Oper kein Tabu sein.
Davon überzeugt bin auch ich als Zeit- und Augenzeuge, der als 14-Jähriger im Sommer 1943 auf dem Erfurter Bahnhof einen Zug mit geschlossenen Güterwagen – Herkunft mit französischen Ortsnamen markiert – voller Menschen in Richtung Osten auf einem Gleis stehen sah, bewacht von SS-Leuten. Unvergessen bleibt der Anblick heraushängender Arme mit leeren Eimern und stummem Schrei: „Wer bringt uns Wasser?“ Dem Zeitpunkt nach könnte es womöglich der Transport gewesen sein, in dem sich Alma Rosé befunden hat …
Es gab am 16. September dieses Jahres in Mönchengladbach die Uraufführung der Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“ von Stefan Heucke (Libretto vom Bruder Clemens Heucke). Ähnlich wie in anderen Zeitungen meint Georg Beck: „Als Tabubrecher fungierte der Bochumer Komponist Stefan Heucke.“ (nmz 10/06, S.47)
Mit dem Frauenorchester wird ein bestimmtes Objekt des KZ in Augen- und Ohrenschein genommen, womit die zentrale Funktion des Lagers mit Vernichtung in Gaskammern deshalb gar nicht verharmlost oder verdrängt wird.
Im Gegenteil: In der Oper sind entsprechende Hinweise optisch und akustisch immer wieder einbezogen. Ich wüsste nicht, wie das Thema „Frauenorchester“ künstlerisch besser und anschaulicher verarbeitet werden könnte als in der einer Oper zuzuordnenden Struktur: handlungsmäßig und szenisch auf einer Bühne, akustisch mittels realistischer Darstellung eines solchen Orchesters, wie es etwa gewesen sein dürfte, freilich unter Hinzunahme eines üblichen Opernorchesters, das die entsprechenden musikalischen Aufgaben und Funktionen neben dem zur Handlung gehörenden Ensemble zu leisten hat.
Es sei an dieser Stelle gleich eingeschoben: Was bei dieser Opernproduktion den Beteiligten (professionellen und nichtprofessionellen) mit den Dirigenten einzeln und in der Koordinierung geglückt ist, verdient größte Anerkennung.
Darin einzuschließen sind alle Sängerinnen und Sänger mit solistisch zum Teil außergewöhnlichen Anforderungen. An den grundsätzlichen Tatsachen – dem KZ mit seiner grauenvollen Todesmaschinerie, der Existenz dieses in gewisser Weise paradoxen Frauenorchesters, und der in diese Geschichte einbezogenen Gruppe bestimmter Einzelpersonen mit der im Vordergrund zu positionierenden Alma Rosé – wird von keiner Seite gerüttelt.
Zwei Zeugnisse aus der Feder ehemaliger KZ-Häftlinge, die im Frauenorchester mitspielten – Fania Fénelon und Anita Lasker-Wallfisch – sind unterschiedlich ausgefallen, vor allem in Bezug auf die im Mittelpunkt stehende Alma Rosé. Fania Fénelon kann nicht mehr zu ihrer Niederschrift gefragt werden, sie starb 1983. Als einzige Überlebende kam Frau Lasker-Wallfisch zur Uraufführung. Hatte sie vor Jahren Vorbehalte zum Opern-Projekt im Ganzen und zum Libretto im Einzelnen vorgebracht, zeigte sie sich nach der Aufführung versöhnt und bekundete Anerkennung.
(Ein Brief von ihr an den Komponisten mit großen Bedenken vor Jahren, der auch Korrekturen bewirkt hatte, wird während der Ouvertüre auf eine Bühnenleinwand projiziert!) Ob bei dem, was in Details historisch genau vor sich gegangen sein mag, etwas „verzerrt“ sein könnte, dürfte für das Gesamtbild unerheblich sein und für das, was Librettist und Komponist zu vermitteln versuchen, was auch gelingt: Beschreibung in Worten und Tönen einer furchtbaren Konfliktsituation, in die sowieso schon hilflose Gefangene zusätzlich vor ihrem Gewissen ausweglos in Gewissensqualen geschickt wurden, wenn sie für die SS spielten, anstatt ihre Instrumente wegzuwerfen, um dann natürlich den in die Gaskammern Marschierenden folgen zu müssen ...
Die Musik ist spannend, bewegend, rüttelt auf, und sie ist originär. Wenn man meint, dass Heucke sich nur „im mäßig inspirierten Gefolge von Zimmermann, Reimann, Ligeti und Zender“ bewege (RP, Düsseldorf) oder manchmal „Schostakowitsch die Klangpatenschaft übernommen“ habe (FAZ, Frankfurt), sollte man zum Beispiel an Beethoven erinnern, bei dem manches nach Haydn klingt, sogar spät noch einmal in der Klaviersonate op. 110.
Einerseits ist, vor allem im Frauenorchester, traditionsverbundener Klang bei entsprechenden Werken von Schubert, Suppé, Johann Strauß und Puccini vorgegeben. Das eigentliche Opernorchester bewegt sich im freitonalen beziehungsweise atonalen Raum, abgesehen von ebenfalls gelegentlicher Einbindung von Zitaten, so die Splitter der Chaconne für Violine solo von J.S. Bach in einer raffinierten Vermengung mit expressionistischen Klangpuzzeln durch Heucke. Clusterförmige Klangschichtungen sind naheliegend vom Grundtenor des Werkes her immer wieder zwingend.
Ebenso sind vom Komponisten Heucke auch andere Töne zu hören, etwa gegen Ende des ersten Aktes in der Andacht der Gefangenen: Beeindruckend ist das jüdische „Adon olam ascher malach“ mit dem christlichen „Ave Maria“ verbunden in einem achtstimmigen Kanon, der zur Hälfte vokal durch die Sänger im Vordergrund und instrumental durch das Orchester im Hintergrund der Bühne realisiert wird. Im zweiten Akt vollzieht sich an der Stelle des Totengedenkens für Alma über einem Ostinato in der einer Chaconne ähnlichen Variationsfolge etwa zwölfmal eine Verdichtung mit einem Steigerungseffekt, der jedoch nie „mit hysterischen Klängen, die Filmmusik Ehre machten“, gleichzusetzen ist.
Einmal mag man Panik verspüren, wenn nämlich tonmalerisch mit einem ungeheuren Klang-Knäuel das Nahen, Überfliegen und Sichentfernen eines großen Fluggeschwaders der Alliierten dargestellt wird und die Häftlinge in die Höhe starren und sich fragen: Warum werfen die keine Bomben auf die Zufahrtsgleise zum KZ? – Einen besonderen Platz nimmt in der Partitur ein außergewöhnliches Instrument ein, das altjüdische sakrale Schofar-Horn. Wie an etlichen Stellen der Oper erklingt am Ende des Werkes sein Ton allein, bevor der Vorhang fällt. – Zu Meinungen anderer: Der Dirigent der Oper, GMD der Niederrheinischen Sinfoniker, der Brite Graham Jackson, sieht kein Problem zur Thematik des KZ in der Oper. Er konnte vieles beim Werk bereits im stadium nascendi verfolgen. Fröhlich bekundete er in einem Gespräch, dass die Partitur aufzuschlagen auf jeder Seite interessant sei.
Ein Orchestermusiker äußerte, dass das Stück handwerklich gut gearbeitet sei. Dass unterschiedliche Meinungen zu diesem oder jenem bestehen, ziehe sich bei Orchestermusikern bekanntlich durch das gesamte Opernrepertoire. Grundsätzliche Bedenken oder gar Widerstand habe es bei den etwa 50 Beteiligten nicht gegeben, und bei anfänglichen Vorbehalten Einzelner zu Heuckes Oper sei die Akzeptanz auch im Laufe der Proben gewachsen.
Auf die Frage, ob das Werk „musiksprachlich nach 15 Minuten verausgabt“ sei, wie es eine Zeitungskritik brachte, kam ein eindeutiges „Nein!“. Am meisten dürfte beeindrucken, was eine Studienrätin für Musik von der Gruppe ihrer 55 Schülerinnen und Schüler zwischen 17 und 19 Jahren berichtete, die zum großen Teil nicht musikalisch vorgebildet seien und sich „freiwillig auf etwas eingelassen“ hätten. Jede/r habe auch die Wahl gehabt, zur Pause, also nach 90 Minuten, das Theater zu verlassen. Keiner sei gegangen. Wie es eine Vorbereitung gegeben habe, so auch eine Nachbereitung. Die negative Presse über die Musik wurde als ungerechtfertigt oder gar herabwürdigend empfunden.
Die Inszenierung fand auch viel Lob. Zum Ergebnis: Es bannt ... ergreift …