Wer erinnert sich noch an die finnische Geigerin Linda Lampenius? Vor zwei Jahren wurde das 28-jährige Ex-Playboymodel als die neue Klassik-Hoffnung der EMI vorgestellt. Heute kennt sie kaum noch einer, auch eine Namenskosmetik (Linda Brava!) und eine Debüt-CD mit Geigen-Schnulzen hat daran nichts geändert. Was ist da schief gelaufen? Hat die EMI das Marktpotenzial für geigende Sexbomben über- oder den durchschnittlichen Sachverstand der Hörer unterschätzt? Tatsache ist, dass nichts mehr auf dem Klassikmarkt so ist, wie es einmal war. Der Boom, den die Einführung der CD vor zwanzig Jahren auf dem Klassikmarkt auslöste, ist längst verebbt.
Wer erinnert sich noch an die finnische Geigerin Linda Lampenius? Vor zwei Jahren wurde das 28-jährige Ex-Playboymodel als die neue Klassik-Hoffnung der EMI vorgestellt. Heute kennt sie kaum noch einer, auch eine Namenskosmetik (Linda Brava!) und eine Debüt-CD mit Geigen-Schnulzen hat daran nichts geändert. Was ist da schief gelaufen? Hat die EMI das Marktpotenzial für geigende Sexbomben über- oder den durchschnittlichen Sachverstand der Hörer unterschätzt? Tatsache ist, dass nichts mehr auf dem Klassikmarkt so ist, wie es einmal war. Der Boom, den die Einführung der CD vor zwanzig Jahren auf dem Klassikmarkt auslöste, ist längst verebbt.So ist es kein Wunder, dass man schon seit einiger Zeit versucht, die bewährten Vermarktungsstrategien der U-Musik auch für die E-Musik nutzbar zu machen. Was früher nur für Sängerinnen wichtig war, gilt mittlerweile auch für Instrumentalisten: Es kommt aufs Aussehen an. Gerade Geigerinnen und Cellistinnen werden heute fast so stark über ihr Dekolleté vermarktet wie über ihre musikalischen Qualitäten. Schließlich ist ein sexy Outfit ja auch allemal einprägsamer als ein perfektes Legato. Zwar wurde bei Linda Lampenius offenbar die Grenze dessen, was noch als leidlich seriös gelten kann, weit überschritten. Man sollte aber nicht meinen, etablierte Klassikstars wären nur nach rein künstlerischen Kriterien aufgebaut worden. Anne-Sophie Mutter etwa hat einen großen Teil ihres Erfolgs nicht nur ihrem Geigenspiel, sondern auch ihren extravaganten Roben zu verdanken – schulterfrei als Markenzeichen. Nigel Kennedy pflegt auch jenseits der 40 noch das sorgsam aufgebaute pubertäre Punkerimage, so lächerlich das allmählich auch wirken mag. Immerhin verkaufte sich seine Aufnahme von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ sage und schreibe 1,5-millionenmal – im Klassikbereich ist das eine sensationelle Zahl. Normalerweise geht eine neue CD eines noch wenig bekannten Künstlers tausend- bis fünfzehnhundertmal über die Ladentheke, zehntausend Stück gelten auch für bekanntere Musiker als gute Auflage – kein Vergleich mit den Umsätzen, die im Popbereich erzielt werden. Besonders brisant ist die Sitaution für junge Pianisten: Der Markt ist übersättigt, an Nachwuchs mangelt es nicht. Jährlich werden Dutzende großer Wettbewerbe ausgetragen, deren Gewinner allesamt auf eine Weltkarriere hoffen. Die ist aber ohne die Unterstützung durch eine große Plattenfirma äußerst unwahrscheinlich.So bastelt man am besten früh an einem unverwechselbaren Profil. Ein kleiner Skandal und ein Dandy-Image wie bei Ivo Pogorelich können nützlich sein, ein Ruf als Horowitz-Nachfolger und Supervirtuose (Volodos!) auch. Wer aber einfach nur großartig Klavier spielt und durchschnittlich aussieht, dürfte es schwer haben. Ob Charakterköpfe wie Alfred Brendel oder Svjatoslav Richter heute als junge, unbekannte Pianisten noch einen Schallplattenvertrag erhalten würden? Allerdings lässt sich auch eine Behinderung karrierefördernd verwerten: Der blinde Tenor Andrea Boccelli ist als Sänger drittklassig, erzielt dank cleverer Vermarktung aber Verkaufszahlen, von denen seine sehenden Kollegen nur träumen können – nicht einmal vor Verdi-Arien schreckt Boccelli mittlerweile mehr zurück. Noch schwerer als mit der Marktpositionierung neuer Interpreten tut sich die Klassikbranche aber mit der Verwertung der Massen an älterem Material, die bleischwer in den Schallarchiven liegen. Hier sind mittlerweile die letzten Schamgrenzen gefallen. Ist man schon seit längerem daran gewöhnt, alte Karajan- oder Solti-Aufnahmen in neuer Verpackung mit Titeln wie „Klassik zum Träumen“ oder „Musik für romantische Stunden“ offeriert zu bekommen, so gibt es jetzt scheinbar keinerlei künstlerische Skrupel mehr. Wer glaubte, mit der CD „Moshammer´s Classics“, immerhin mit Aufnahmen von Topstars wie Placido Domingo oder Leonard Bernstein, sei das untere Ende der Peinlichkeitsskala erreicht, so hat Sony Classical mit der Reihe „Für Stunden mit Lebensstil“ den Offenbarungseid einer Industrie geleistet, der das Wasser bis zum Hals stehen muss: Hier wird bloß noch mittels einfältiger Al-literation zusammengeschmissen, was nie und nimmer zusammengehört. „Satie für stille Stunden“ mag ja noch angehen, aber „Barock zum Bügeln“, „Bach zum Brunch“, „Beethoven als Betthupferl“ und, als Krönung, „Puccini zur Pasta“? Warum nicht gleich „Brahms für Bescheuerte“? Oder „Vivaldi für Vollbusige“? Da könnte man doch glatt Linda Lampenius wieder ins Spiel bringen.