Einer der meistgehörten Sätze auf dem Grünen Hügel lautete in diesem Jahr: „Mit Bayreuth geht’s bergab!“ Die Wagnerhalbschwestern haben es geschafft, viele Besucher zu verärgern und die treuen Wagnerianer vom Hügel zu vertreiben. Noch nie war es so einfach, an Karten für Bayreuth zu kommen. Was Wunder, dass sich das Publikum veränderte. Wo man früher rund ums Festspielhaus angeregte Wagnerfachsimpeleien hörte, ist es heute nichts Anstoßerregendes, wenn eine todschick gekleidete Besucherin in einer „Lohengrin“-Pause fragt: „Wann kommt denn endlich der Walkürenritt?“
Die rasante Talfahrt des bedeutendsten deutschsprachigen Opernfestivals nach Wolfgangs Abgang sei seinen Töchtern zu verdanken, so der Politologe und Wagnerexperte Udo Bermbach, der ihnen kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung eine „Ansammlung von Unfähigkeit“ vorwarf. Eva Wagner scheidet nach Ende der Festspielsaison aus der Führungsriege Bayreuths aus. Christian Thielemann ist offiziell zum Musikdirektor der Festspiele ernannt worden. Welche Aufgaben mit dem neuen Titel konkret verbunden sind, werde man auf einer Pressekonferenz zum Festspielstart erläutern, hieß es. Die Pressekonferenz wurde nach Gutsherrenart kurzerhand abgesagt. Das wäre bei Wolfgang Wagner nie passiert.
Aber das ist der neue Stil des Hauses, in dem Katharina Wagner ihre zweite Regietat am Grünen Hügel vorstellte, einen „Tristan“, der allerdings nicht anders als blamabel genannt werden kann, denn hätte sie das Textbuch ihres Urgroßvaters genauer gelesen, hätte sie nicht gleich drei Kardinalfehler begehen dürfen, die das Stück unlogisch, ja absurd erscheinen lassen: Im ersten Akt trinken Tristan und Isolde bei ihr den Liebestrank nicht, sie kippen ihn gleich weg. Damit wird die salvatorische Wirkung dieses Tranks (aus was er auch immer bestehen mag, und sei es Wasser), ihre Unschuld am Verbrechen des Ehebruchs ad absurdum geführt. Im zweiten Akt lässt Katharina Tristan hinterrücks von Melot erstechen, womit die Suizidabsicht Tristans geleugnet wird, was den Fiebermonolog des dritten Akts überflüssig macht. Im dritten Akt darf Isolde keinen Liebestod sterben, sondern wird nach Absingen ihres Monologs (der dadurch lächerlich wird) durch Marke von der Bühne geführt. Von weiteren Absurditäten der Regie zu schweigen. Sängerisch war dieser „Tristan“ alles andere als eine Offenbarung, wenn man Wagners Forderung nach einem „deutschen Belcanto“ ernst nimmt.
Aber auch bei den übrigen in diesem Jahr gezeigten Stücken („Holländer“, „Lohengrin“ und „Ring“) bestand kein Grund zum Jubeln. Es gab zwar einige sängerische und dirigentische Umbesetzungen, auch ein zusätzliches Krokodil im Castorf-„Ring“, ansonsten nichts nennenswert Neues. Das „Ring“-Dirigat von Kirill Petrenko begeisterte auch in diesem Jahr wieder, im nächsten wird Marek Janowski entgegen seinen früheren Bekundungen, nie mehr szenischen Wagner zu dirigieren, am Pult des „Ring“-Orchesters stehen.
Das nach fünf Jahren Sanierung und um einen Erweiterungsbau von Volker Staab erweiterte, wiedereröffnete Wahnfried-Museum kann nicht anders als ein enttäuschendes „Ärgersheim“ (Cosima) bezeichnet werden. Zu schweigen von den Unzulänglichkeiten des Richard-Wagner-Archivs, auf die ebenfalls Udo Bermbach in der NZZ hinwies. Keine Vitrinen mehr mit Fotos und Devotionalien, Kitsch und Kuriosa. Dafür gibt es ein Café und einen Bookshop, großzügige Toiletten- und Schließfächerbereiche. Aber wohin sind die vielen Exponate gewandert, derer man sich so gern erinnert? Sicher, es gibt die Originalpartitur des „Tristan“ im Keller des Anbaus zu sehen, auch einige Kostüme und die berühmten Bühnenbildmodelle, aber was sagt einem eine unkommentierte heroisch anmutende Wagnerbüste vor goldenem Halbrund im Keller des Neubaus? Natürlich fehlt auch nicht eine „interaktive Partitur“ – ein nettes Spielzeug, gewiss. Doch die meisten Zimmer der Villa Wahnfried sind nahezu leer.
Die Räume im erstmals ins Museum einbezogenen Siegfried-Wagner-Bau habe man weitgehend unmöbliert gelassen, um sie für sich sprechen zu lassen, so hörte man. Aber was erzählt denn das absolut leere Kaminzimmer, in dem einst Adolf Hitler gesessen hatte? Ja, es gibt natürlich Monitore mit Kurzfilmen, auch eine Stimme aus dem Off mit Infos. Wer allerdings hofft, dort das berühmte Filminterview, das Regisseur Hans-Jürgen Syberberg 1975 mit Winifred Wagner eben dort geführt hatte, zu sehen, wird enttäuscht.
Nike Wagner, die Klügste und Unerschrockenste des Wagnerclans, hat in ihrer brillanten Rede beim Festakt der Eröffnung des Museums darauf hingewiesen, es sei zwar „nach allen Regeln zeitgenössisch-interaktiver Museumspädagogik, barrierefreier correctness und klimatischer Zentralsteuerung umgestaltet worden“, weist aber darauf hin: „Dass der Winifred-Film von Hans-Jürgen Syberberg, ein einzigartiges historisches Dokument, dort seinen Platz hätte finden müssen, wenn schon auf ‚Authentizität‘ Wert gelegt wird – dort, wo sie überhaupt noch zu haben ist! –, sollte dem Museumsleiter freilich erneut und dick unterstrichen ins Stammbuch geschrieben werden. […]auf Bildschirm wäre Wini, wie sie leibte und lebte, zu haben gewesen. Aber natürlich in toto, nicht nur per Clip, nicht nur mit ihrem skandalösen Bekenntnis zu Adolf Hitler, wie man es hier gerne verkürzt haben wollte.“ Nike Wagner ist nichts hinzuzufügen.