Seit einigen Jahren wird in Donau-eschingen wieder gepfiffen, gebuht und Bravo geschrien. Fast wie in den goldenen Zeiten der Neuen Musik, nur etwas gesitteter und spielerischer – Äußerungen kleiner Gruppen, die offenbar gerne einmal etwas mehr Leben in die Bude beziehungsweise den Konzertsaal bringen wollen. Man darf annehmen, dass es sich dabei nicht um die Avantgarde-Grufties unserer Generation handelt, die nun plötzlich von wildem Furor gepackt von ihren Sitzen aufspringen, sondern um jüngere Besucher. Und wer den Kern dieser neuen Aktivhörer bei den Teilnehmern des Workshops „Next Generation“ vermutet, dürfte wohl nicht ganz falsch liegen.
Zu diesem Workshop, der zwei Tage vor den Donaueschinger Musiktagen beginnt und am Tag danach endet, kommen seit vier Jahren jedes Mal weit über hundert Studierende aus aller Welt. Verantwortlich für das Programm sind die Musiktage, geleitet wird es von Julia Cloot, die ähnliche Dinge auch an ihrer Hochschule in Frankfurt macht, und Tagungsort ist die auf diesem Gebiet sehr aktive Musikhochschule im benachbarten Trossingen.
Es sind hauptsächlich angehende Komponistinnen und Komponisten, aber auch Studierende der Musikwissenschaft, die sich hier treffen. Auf dem Programm stehen Besuche von Generalproben in Donaueschingen und Gespräche mit den Komponisten, Workshops zu Themen wie „Komponieren für Orchester“ oder „Vermittlung Neuer Musik“, Referate und Diskussionen zu rechtlichen und verlegerischen Problemen und zur ökonomischen Basis des Komponistenberufs. Und nicht zuletzt haben alle freien Eintritt zu den Veranstaltungen der Musiktage. Zum Abschluss gibt es eine Kritik des Erlebten und ein Konzert mit ausgewählten Werken der Kursteilnehmer.
In einer Zeit, da den anspruchsvolleren Musikrichtungen von Klassik bis Avantgarde das Publikum wegzubrechen droht, sind solche Weiterbildungsprogramme lebensnotwendig. Sie machen den Studierenden Appetit auf das Zeitgenössische, das an den Musikhochschulen noch allzu oft ein Schattendasein führt. Denjenigen, die den schwierigen Beruf des Komponisten ergreifen wollen, machen sie Mut und geben ihnen einen Einblick in den Betrieb, der sie erwartet. Und bei den vielen anderen wecken sie Verständnis für die Fragestellungen des heutigen Komponierens.
Was da an Mentalitäten und Erwartungshaltungen zusammenkommt, zeigte sich beim „Open Space“, einer zweistündigen Diskussionsveranstaltung. Die beiden Moderatoren, die Komponisten Dieter Mack und Johannes Schöllhorn, ließen den Teilnehmern völlige Freiheit bei der Themenwahl. Schnell kristallisierte sich ein zentraler Fragenkomplex heraus, um den sich die Diskussionen drehten: Die Frage nach dem Wozu. Für wen komponiere ich? Was will ich meinen Hörern mitteilen? Welches sind ihre Bedürfnisse? Muss ich mich nach ihren Erwartungen richten oder bin ich nur mir selbst gegenüber verantwortlich für das, was ich tue? Was kann ich von der Popmusik lernen? Sind propagandistische Verkaufsaktionen nützlich oder zwingen sie den Komponisten zu Kompromissen?
Ein ganzer Sack voll Fragen, für die heute der etwas pauschale, mit Vorliebe von Organisatoren und Pädagogen in Beschlag genommene Begriff der „Vermittlung“ bemüht wird. In der Diskussion mit den jungen Komponistinnen, Komponisten und all den anderen Interessierten erhielt dieser Begriff plötzlich Farbe und Inhalt. Man suchte gemeinsam nach Antworten und merkte bald, dass es die allein gültige Position nicht gibt, von der aus ein allgemein verbindliches Komponieren möglich wäre, und dass letztlich jeder Einzelne seinen ganz persönlichen Standpunkt finden muss. Künstlerische Glaubwürdigkeit lässt sich nicht durch Befolgung äußerer Vorgaben erlangen, seien es ästhetische Dogmen oder finanzielle Verlockungen.
Auch wenn sich die Diskussion manchmal festfuhr oder im Kreis drehte, so führte sie doch immer wieder zu überraschenden Einsichten und Übereinstimmungen. Ein hohes Maß an Neugierde, Offenheit und Ehrlichkeit und ein Bedürfnis, sich Klarheit über die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Musikmachens zu verschaffen, war den Teilnehmern anzumerken. Dass es die musikalischen Akteure von morgen sind, die sich diese tief schürfenden Gedanken machen, stimmt optimistisch für die Zukunft der Neuen Musik.