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Spaltklangverbot
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Diese Kolumne ist dem vor 25 Jahren gestorbenen Heinrich Böll gewidmet, der in seiner 1974 erschienenen Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ die Machenschaften der Journaille am Beispiel des fiktiven Boulevardblatts ZEITUNG anprangerte. Zwei Jahre davor war er selbst in einer von Springer angeführten Pressekampagne zum geistigen Sympathisanten des Terrorismus gestempelt worden.

Heute sind wir wieder gleich weit. Die Tage Anfang September glichen einer journalistischen Treibjagd. Die geballte Medienmacht schoss sich auf den Buchautor Thilo Sarrazin ein, der es gewagt hatte, Thesen und Feststellungen zu publizieren, die dem herrschenden Mainstream zuwiderlaufen. Und wieder nahm Springers „Welt“ im medialen Schauprozess eine Führungsrolle ein, indem sie den Autor im Interview mit Fangfragen aufs Glatteis führte, um ihn dann aufgrund dieser Aussagen erbarmungslos niederzumachen. Das war umso weniger ein Wagnis, als die oberste Rezensentin der Republik, ohne das Buch gelesen zu haben, ihn zum Abschuss freigegeben hatte, sekundiert von einem Staatsoberhaupt, das ein Berufsverbot für den Unbotmäßigen ins Gespräch brachte. Die DDR lässt grüßen.

Während im Iran der Tabuverletzer noch primitiv gesteinigt wird, kennt die Mediengesellschaft raffiniertere Methoden kollektiver Vernichtung. In der Hochphase der Hysterie wurde nicht zur Sache argumentiert, sondern darauf abgezielt, den Autor als Person zu beschädigen und ihn zum Hassobjekt zu machen, um die Straße zu mobilisieren. Wann hat es das zum letzten Mal bei einer Lesung gegeben: Bodyguards für den Buchautor und draußen auf der Straße der Pöbel mit Plakaten, auf denen „Halt’s Maul!“ geschrieben steht?

Die Politik als Antreiber und die Journalisten als folgsame Meute: ein schändliches Spektakel. Und zu den traurigen Fakten gehört es, dass die Partei der Grünen, die sich sonst den Mund nie verbieten lässt und mit der Heinrich-Böll-Stiftung auch institutionell ein Signal für das hohe Gut der Meinungsfreiheit gesetzt hat, zu dieser Hetzjagd nicht nur schwieg, sondern aus sicherer Distanz noch applaudierte. Da stand wohl die Rücksicht auf die türkischen Wähler über dem Eintreten für die freie Meinungsäußerung.

Die Frage sei erlaubt: Was ist in diese Partei gefahren, deren Gründer einst als Verteidiger der Bürgerrechte antraten, dass sie jetzt so eifrig mit den Wölfen heult? Ist es der Frust darüber, dass die Multikulti-Ideologie der achtziger Jahre nicht mehr taugt? Ist Sarrazin für die grünen Anhänger ein Nationalist, weil er sich ganz selbstverständlich zur deutschen Kultur bekennt? Warum fällt man mit Wortkeulen über ihn her, statt Argumente aufzufahren?

Es heißt auch, der Angeklagte würde die Bevölkerung spalten. Das Wort „Spalter“ ist verräterisch nicht nur deshalb, weil es aus dem Umfeld der leninistischen Kaderparteien stammt, wo es bekanntlich keine Abweichler geben darf. Es suggeriert auch das völlig realitätsferne Bild einer Gesellschaft, in der alle Individuen und Gruppen harmonisch nebeneinander leben und das gleiche Lebensziel vor Augen haben sollen. Unsere Gesellschaft lebt aber von den Widersprüchen, auch von Machtkämpfen. Die grünen Opas haben das selbst noch praktiziert, als sie 1968 auf die Barrikaden gingen und Rabbatz machten gegen das einlullende Wohlstands-Einerlei, das die gesellschaftlichen Widersprüche zukleistern sollte.

Ist es heute aufgeklärte Bürgerpflicht, harmonisch zu denken? Darf man nur noch die einlullenden Begriffe der Political Correctness benutzen, um im öffentlichen Diskurs gehört zu werden? Stellen wir uns einmal vor: In der Neuen Musik ist Harmonie angesagt, und darüber haben wohlmeinende Fachleute zu wachen. In einem Akt positiver Diskriminierung werden also erstens vermehrt Werke von La Monte Young, Scelsi und Pärt aufgeführt, die das Ohr nicht mit Dissonanzen verletzen. Zweitens: Nur kein Spaltklang, denn der schafft Unruhe! Es könnten sich einige Hörer beleidigt oder ausgegrenzt fühlen, vor allem jene, deren Ohren noch nicht daran gewöhnt sind. Drittens: die Komponisten sind moralisch verpflichtet, untereinander einen ästhetischen Konsens anzustreben. Und viertens, zur Absicherung des Fortschritts: Autoren wie Adorno und andere artfremde Spalter kommen auf den Index, denn ihre Gedanken sind bei der Pflege des neuen Volkskörpers „nicht hilfreich“.

So haben wir eine ästhetisch korrekte, friedliche und allerseits minderheitenkonforme Musik. Oder doch eher eine musikalische Hölle, in der wir arme Hörerseelen ewig im Sumpf des harmonischen Konsenses schmoren müssen? Donaueschingen im rosaroten Neonlicht – lieber nicht. Deshalb der Wunsch an die Komponisten: Hört nicht auf das Konsensgesäusel der Volkserzieher, schreibt Musik gegen den Wohlfühlterror, zerstört die verlogenen Ideologiekonstrukte, versalzt den Politköchen ihren faden Einheitsbrei, haut die Weicheier, wo ihr sie trefft. Und wenn es weh tut, umso besser.

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