Ein ganz typisches Phänomen: Da hat man gerade erst die Aufnahmeprüfung bestanden im Fach Komposition, vor einem liegen 4 bis 6 oder noch mehr Jahre Kompositionsstudium, man ist am Ziel seiner Träume angelangt … und fällt plötzlich in eine komplette Sinnkrise, ganz zu Anfang des Studiums, wo es doch nun eigentlich erst richtig losgehen sollte.
Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass mir neue Studenten – vor allem wenn es sich um Bachelor-Studenten handelt – in den ersten Wochen quasi nichts zeigen außer den Stücken, die sie schon lange vorher geschrieben haben. Ansonsten herrscht Dürre, denn kaum hat das Studium begonnen, sind sie wie gelähmt, wenn es darum geht, die ersten Noten eines neuen Stücks zu schreiben. Die gefürchtete Schreibblockade hat eingesetzt, die Geißel aller kreativ arbeitenden Menschen.
Auch in meinem eigenen Studium kann ich mich an solche Probleme bei uns Kompositionsstudenten erinnern. Aber warum tritt dieses Phänomen so flächendeckend bei absolut allen neuen Studenten auf?
Man muss sich vergegenwärtigen, dass mit dem Studium die Haltung zum eigenen Komponieren einer grundsätzlichen Verwandlung unterzogen wird – was vorher unschuldig aus eigenem Impetus entstand (weil man für Freunde, sich selber oder die bzw. den Angebetene/n etwas komponierte), unterliegt nun zum ersten Mal einer professionellen Beurteilung. Aus der „Berufung“ wird also zum ersten Mal „Beruf“. Natürlich ist es nach wie vor nicht klar, ob man später wirklich als Komponist arbeiten können wird. Aber ein erster wichtiger Schritt in Richtung Professionalität ist unternommen, und in diesem Moment wird einem klar, dass das Komponieren nun auch „Aufgabe“ anstatt nur „Spaß“ sein kann. Plötzlich ist da jemand (ein Lehrer), der erwartet, dass man Woche um Woche etwas komponiert, und potentiell enttäuscht ist, wenn dies nicht geschieht. Hinzu kommt auch erst einmal eine Überwältigung durch das Studium an sich – da gibt es plötzlich dutzende Fächer, in denen man reüssieren muss, es gibt neue Verpflichtungen wie den Hochschulchor etc. und das vormals freiwillig hinzu Erlernte an Theorie, Instrumentenkunde oder Partiturspiel unterliegt nun ebenfalls einer Benotung, die sich vom ersten Semester an schon auf die Endnote im Examen auswirken kann.
All dies ist man zwar von der Schule gewohnt, neu ist aber, dass man nun unter diesem Erwartungsdruck kreativ sein muss. Es wäre falsch, diesen „Eintrittsschock“ als vorübergehende Lappalie abzutun – tatsächlich ist er ein wichtiger Schritt in Richtung eines wirklich unabhängigen Komponistendaseins. Denn selbstverständlich wird man auch später unter Druck arbeiten müssen – da wird es Deadlines und Auf und Abs geben, da das Leben eines Freiberuflers ständig zwischen Überforderung und Stillstand wechselt. Der englische Autor Neil Gaiman hat in einem Interview einmal sehr schön beschrieben, dass man die wahren Schriftsteller erst dann erkennen kann, wenn sie auch dann schreiben, wenn es eben Mal keinen Spaß macht. Im „Flow“ kreativ zu arbeiten ist nicht schwer, trotz einer Schreibblockade dennoch zu komponieren dagegen schon. Und dass Kunst viel Arbeit macht, wusste natürlich schon Karl Valentin.
Für mich als Lehrer besteht nun die Aufgabe, jedem der Studenten ein Rüstwerkzeug mitzugeben, dass er gegen die Schreibblockade bestehen kann. Das kann simples Handwerk sein, oder aber auch Motivation wie bei einem Fußballtrainer. Krisen kennen alle Künstler, das Wachsen an der Krise aber will gelernt sein. Und nichts ist schöner als plötzlich zu erkennen, dass die unter enormer Anstrengung entstandenen Töne sich am Ende gar nicht von denen unterscheiden, die einfach nur so heraussprudelten.