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Blick zurück in Traurigkeit

Untertitel
Walter Thomas Heyn zum Biermann-Interview
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Hier ein kleiner Erlebnisbericht, wie es tatsächlich war mit Biermanns Liedern im Leipzig dieser Jahre.

Vor 30 Jahren gehörte ich, ein junger Leipziger Gitarrist, zu seinen Jüngern. Das war die Zeit der Singeclubs, der Texterbuden und Liedermacher. Eine gar nicht so dumpfrote Zeit wie man heute glaubt, eher offen, eher liberal, zumindest in der Kunst. Im VEB Buntgarnwerk wird das anders gewesen sein. Dort rabottete ja nur die herrschende Klasse. Unser Gott hieß nicht Alfred Hennecke, sondern Manfred Krug, doch einige hatten auch immer Lieder von Biermann dabei oder Tonbänder, die auf Jupiter- oder Tesla-Geräten spätabends abgespielt wurden. Das heimliche Gebet und Stoßgebet der Oma Moise „Lieber Gott, lass doch den Kommunismus siegen“ oder unsere Lieblingshymne „So oder so, die Erde wird rot“ kursierte.

Beide Lieder hörte ich wieder am 19. November 2006 in der langen Biermann-Nacht, das „Gebet der Oma Moise“ in einer Übertragung aus Hamburg, gesungen in einer so schmerzhaft intensiven und zugleich liebevoll humorigen Art, dass es mich überläuft und ich mich zum zigtausendsten Male frage, warum eigentlich hat denn der Kommunismus nicht gesiegt, wenn er denn solche Propheten hatte?

Die Antwort gibt Biermann selber, denn das Fernsehen wiederholte das legendäre Konzert bei der IG Metall in Essen 1976, dem vorgeschobenen Grund der Ausbürgerung. In dem Lied „So oder so, die Erde wird rot“ besteht der Refrain aus drei sich steigernden Verszeilen: „so soll es sein, so muss es sein, so wird es sein“. Und diese Zeilen haben von Biermann eine Musik bekommen, die genau das Gegenteil des Textes aussagt. Nach einer kräftigen Dominante wird leuchtendes C-Dur erreicht, die zweite Zeile wiederholt das Ganze in tieferem Moll, die dritte Zeile wird von einer nahezu kraftlosen harmonischen Wendung aus einer alten Kirchentonart begleitet. Dazu fällt die Gesangstimme um eine Oktave. Das hat die dialektische Dimension von Brecht/Eisler und es war mir vorher nie aufgefallen und stimmte mich traurig.

1974 wurden wir jungen Leute aus den Leipziger Singeclubs von der Bezirksleitung der FDJ gefragt, wie wir denn dächten, wie sie mit diesem Biermann umzugehen hätten. Unsere Flötistin, die nebenher in einem Verlag arbeitete, schlug vor, alles in kleiner Auflage zu drucken, dann wäre der Dichter zufrieden, die Künstlerkollegen würden das kaufen und die Arbeiter täte so was sowieso nicht interessieren. Wir anderen waren der Meinung, Biermann ins westliche Ausland auf Tournee zu schicken, denn einen besseren Botschafter fürs Ländle konnten wir uns nicht vorstellen. Wir wurden seltsam angesehen und heimgeschickt.

Zwei Jahre später kam es zur Ausbürgerung. Wir wurden wieder einbestellt, was wir denn nun zum „Vorgang“ meinten. „Vorher kannte ihn keiner, jetzt kennt ihn jeder“ sagte die Flötistin, die mittlerweile zwei Kinder hatte und das Wort Mutterschutz geschickt für sich in Anspruch nahm. Ihr geschah nichts. Der zweite Gitarrist Tommy, Arbeiterkind, knallrot, Offiziersanwärter, sagte: „Das ist Euer Ende“. Er sagte nicht mehr „unser“, sondern „euer“, spielte also offenkundig nicht mehr mit. Eine Woche später war er arbeitslos, obwohl man in der DDR nicht arbeitslos sein konnte. Die Sängerin brachte ihn in der Sternburgbrauerei Schkeuditz als Bierkutscher unter. Drei Jahre später erhängte er sich. „Heute sagt jeder Dummkopf, was das doch damals für Dummköpfe gewesen seien“, kommentiert Biermann und meint die Staaten, die laut Böll „sehr oft Dummheiten machen“.

Meine Lippen blieben damals geschlossen. Für mich war das ein Spiel: Katze-Maus-David-Goliath-König-Hofnarr. Antizyklisch hatte eben mal der Hofnarr gewonnen, ich fand es eher lustig. Drei Tage später erschien die Sängerin bei meiner Mutter (ich wohnte noch zu Hause) und bewog meine Mutter dazu, ihr die liebevoll abgeschriebenen Biermann-Lieder zu borgen. Ich bekam sie natürlich nie wieder. In der Akte las ich später, dass sie im Auftrag gehandelt hatte. Genau genommen hat sie mir geholfen: Das Beweismaterial war weg. Ich konnte studieren.

„Dann bin ich nach Osten“, sagt Biermann im Interview „und habe mich gewundert, wie viele mir entgegenkamen“. Und er zitiert seinen Vater, der zu ihm gesagt hat: „Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, da kannst Du doch Dein Wohlleben aufs Spiel setzen. Lass dich nicht einschüchtern, kleiner Wolf“. Da kroch die Scham dann doch meinen Rücken hoch. Die Musik spielt überall. Und ich war kein Held.

Alle Biermann-Zitate stammen aus Fernsehsendungen des NDR vom
19. November 2006

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