Vergnügt und interessiert ging ich Anfang Oktober durch die weiten Hallen des Rosengartens in Mannheim, in denen in diesem Jahr der 5. Bundeskongress Musikunterricht stattfand, in der Absicht, mich in Fragen der Musiklehre fortzubilden und mit Werbeartikeln zukleistern zu lassen. Auf einem verlassenen Tisch lag jedoch ein informatives Büchlein, das einen völlig neuen Blick auf das Berufsprofil Musiklehrkraft ermöglicht. Ein Blick, tiefgreifender als es irgendeiner der Workshops oder Vorträge zu leisten imstande gewesen wäre. Ein Blick, durch den der Lehrberuf ein wenig verwegen, ein wenig pervertiert wird: „Money, Money, Money! – Mit Fundraising musikalische Schulprojekte schlau und einfach finanzieren“. Auf 156 Seiten erklärt Autorin Christiane Knudsen, worauf es bei der Projektfinanzierung ankommt, von der Zielformulierung über die Partnerfindung bis zur Projektvorstellung.
Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin, Lehrer in die Haushaltsplanung miteinzubeziehen! Aber klar: Ob ein voller Satz Stimmen oder gleich die Instrumente der Bläserklasse – das alles kostet. Geld, das erst einmal da sein, das erwirtschaftet werden muss. Und wer hätte dabei mehr Praxiserfahrung als das Lehrkollegium. Sie verkaufen schließlich täglich mehr oder minder interessierten Schulpflichtigen Wissen, über dessen zukünftigen Nutzen beide Seiten noch nicht ganz im Bilde sind.
Da liegt es doch nahe, die Wirtschaftskompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern zu nutzen. Vor allem, wenn es nach so manchem Bundesland geht, scheinen Lehrkräfte in Sachen Arbeitsauslastung chronisch unterversorgt zu sein, entlassen die Behörden doch einen nicht unerheblichen Teil der Lehrerschaft am Anfang der Sommerferien in den unbezahlten Urlaub, um sie dann wenige Wochen später wieder einzustellen. Gerade in Baden-Württemberg kämen die Lehrenden mit einer unternehmerischen Tätigkeit dem Kultusministerium sehr entgegen. Auch schadet es dem ästhetisch-klanglichen Erlebnis gewiss nicht, wenn ein angefressener Apfel aufs Posaunenblech graviert wird oder das Notenheft drei Seiten mehr hat dank der Logos von Kreissparkasse Nord und örtlicher Bäckerei (von der wir mal hoffen, dass es die bei der Uraufführung zum kommenden Schulfest noch gibt). Da bekommt öffentlich-private Partnerschaft eine ganz neue Tragweite.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht darum, Unternehmen zu verteufeln, vor allem nicht die kommunalen Player, die ein aufrichtiges Interesse an der kulturellen wie bildungspolitischen Förderung ihrer Region haben. Auch gegen Christiane Knudsens Buch, das das Thema mit viel Mühe in aller gebührenden und freundlichen Ernsthaftigkeit beleuchtet, kann man wenig einwenden. Aber sollte es wirklich die Aufgabe von Lehrkräften sein, neben dem Unterricht und der meist zeitintensiven Planung kreativer Schulprojekte auch noch für deren Finanzierung zu sorgen? Gewiss gibt es engagierte Persönlichkeiten, die sich mit Herzblut für eine Idee begeistern können und an einem größeren und breiter gefächerten „Workload“ wachsen. Das sind dann meistens auch die mit Abstand besten Lehrpersonen. Doch das entspricht wohl kaum der Realität: Verständlicherweise sieht sich nicht jeder, der das Lehramtsstudium gewählt hat, auch zum Teilzeitunternehmer berufen. Generell kann in der deutschen Bildungslandschaft nicht von einem Überschuss an Musiklehrerinnen und Musiklehrern die Rede sein, im Gegenteil: Es herrscht eine Knappheit, von der wir heute kaum wissen, wie wir ihr begegnen sollen und die in naher Zukunft noch zunehmen wird. Da scheint es kaum ratsam, mit der Zusatzbelastung als „CEO Klassenzimmer“ Entscheidungsunwillige auch noch abzuschrecken. Die Finanzierung sollte schon vorausgesetzt sein, damit sich die Lehrkräfte auf ihre Kernkompetenzen fokussieren können: Pädagogik und Wissensvermittlung – oder?