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Cluster 2012/02 - 2

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Grüße von der Ruhr
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Bei mir um die Ecke gibt es eine großartige Imbissbude. Das halbe Hähnchen ist stets perfekt und sogar die Pommes haben in einer knallharten Evaluation vier von fünf möglichen Fritten zugesprochen bekommen. Über der Spüle hängen Bilder aus der guten alten Zeit, als Rot Weiß Essen noch 7:0 gegen Borussia Mönchengladbach gewinnen konnte. Darüber prangt ein großes Schild mit einem Schriftzug, der mir mich bei jedem Wursterwerb kurz leise seufzen lässt: Kulturhauptstadt 2010. Ich miesgelaunte Unke hatte immer gedacht, dass das nichts wird. Dass die ganze Kohle für die After-Event-Lachshäppchen draufgeht, dass das nur ein windiger Marketinggag ist. Und nun das. Angekommen beim Volk, bei den „Ruhris“, wie wir uns jetzt nennen sollen. (Wer es wagt, mich einen „Ruhri“ zu nennen, kriegt übrigens ein’ auffe Omme.)

Ruhr2010 ist ein nachhaltiger Erfolg. Die A40 ist nach wie vor täglich gewissermaßen gesperrt und in 2012 werden sieben Milliarden Eingeborene gemeinsam auf Schalke singen. Die Gelsenkirchener Innenstadt sieht zwar aus wie Eisenhüttenstadt für Fortgeschrittene, aber das macht ja nichts – hier, „wo das Herz noch zählt“... Ich frage mich nur: Warum bleibt dann niemand hier, für den Kultur mehr bedeutet, als sich regelmäßig zu waschen? Nicht nur Grönemeyer ist längst weg. Freunde, Komponistenkollegen, Instrumentalisten: alle wandern aus. Weil es hier zwischen hellstrahlenden Leuchttürmen – wie der Ruhrtriennale – und den einschlägigen

Wirmachenmalwasundspielenvorfünffreundenselbsthilfegruppen“ fast nichts gibt. Kaum Möglichkeiten für jüngere Kollegen sich auszuprobieren. Kaum Raum für kleinere, experimentelle Formate. Die „Neue-Musik-Szene“ etwa, passt ziemlich vollständig auf mein Sofa. 

Da höre ich schon die gelangweilten Einwände: Branchenübliches Randgruppengejammer. Einverstanden. Dennoch, liebe Heimat: Wenn Du nicht vollkommen vergammeln willst, dann unternimm etwas: Pumpe deine letzten Reserven in die tollkühnsten experimentellen Projekte, statte jedes unserer wunderbaren Stadttheater mit riesigen elektronischen Studios und multifunktionalen Schwebesitzen aus, verzehnfache deren Etats und sei stolz darauf. Schaffe pro Orchester je vier Planstellen für Tárogató- und Trautonium-Spieler, nutze jeden kleinen und noch so verlotterten Winkel für Kunst. Und zwar täglich. Du wirst sehen: Es lebt noch. Meine spinnerte These: Wenn Du weiterhin nur auf Deine dösigen Events setzt, bekommst Du vier Tage im Jahr die Hotels voll. Aber die Wohnungen sind dann leer. Also: Mach watt!

 

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