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Cluster 2012/05 - 1

Untertitel
Gefährliche Dingse
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Unter dem Stichwort „Kunst am Bau“ sagt die Wikipedia, dass etwa ein Prozent der Baukosten bei öffentlichen Bauten für Kunstwerke zu verwenden sind. Das gefällt mir. Wenn es gut geht und der Bau auch Kunst ist, dann klebt also Kunst an und in der Kunst. Das gefällt mir formal noch viel besser. Manchmal steht Kunst ja auch so in der Stadt herum und lädt zu irgendwas ein – zum Verweilen etwa, zum Nachdenken, zum Besprayen oder zum sich drüber Ärgern. In dieser Tradition steht auch das Dings, auf dessen Existenz mich ein Freund hinwies: In Bahnhofsnähe, direkt an einer U-Bahn-Rolltreppe gelegen, wurde ein solches Dings in den Boden versenkt. Es besteht aus neun kleinen kupfernen Quadraten, und wenn man auf eines tritt, macht es bing.

Da das Dings diatonisch und nicht mikromoppelspektraltonal gestimmt ist und außerdem auch nicht an der Wand hängt, kann es keine Kunst sein. Es lädt lediglich zum Bingmachen ein. Die Definition der Stupipedia trifft also voll zu, nach der das Dings eine „nukleare Zusammensetzung von antiwohlriechenden nichtdefinierbaren Gegenständen“ ist. Doch halt: Würde es nämlich anstatt der faden Skala viel krassere Sounds abfeuern, womöglich mit dem nahegelegenen phänomenal verstimmten Glockenspiel kommunizieren, finnische Geheimbotschaften aussenden, sich irgendwie mit dem anderen Dings am Ende der Fußgängerzone verbünden, dann wäre es ein gefährliches Dings. 

Eines nämlich, das zum Staunen einlädt. Erst dann dingt das Dings gescheit! Eine Dingsgewordene Interrogatio, wie der Barockmusikant es wohl nennen würde. Stadtplaner sollten in der Zukunft danach trachten, das Gefahrenpotenzial der Dingse zu messen, zu erkennen und rücksichtslos zu erhöhen: Zum einen durch intensive Vernetzung der Dingse untereinander und zum anderen durch das Abwerfen des Gedankenballasts, dass Dingse unbedingt Kunst sein müssen. Das kann sich auf das Staunvermögen der Bürgerinnen und Bürger nur positiv auswirken.

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