Das Copy-/Paste-Verfahren wird heute bekanntlich von künstlerisch impotenten Leuten als neue Kreativität propagiert: Was man anderswo geklaut hat, wird am Computer bearbeitet, gemixt und dann der Öffentlichkeit als subversive Kunst verkauft. In der letzten Beckmesser-Kolumne war die Rede von einem englischen Betrüger, der auf diese Weise die Aufnahmen zahlloser Pianisten „kreativ“ bearbeitete und erfolgreich als Produkt seiner Ehefrau Joyce Hatto verkaufte. Die Dummen waren neben den gutgläubigen CD-Käufern auch die Kritiker, die die Plagiate hochgejubelt hatten und nach Entdeckung des Schwindels als Schwadroneure dastanden.
Das hat sich nun gerade im Literaturbetrieb wiederholt: Die Körpersaft-Prosa einer missratenen Siebzehnjährigen aus Berlin wurde von einer geistesverwandten Kritikerriege zum Nonplusultra der Gegenwartsliteratur hochgeschrieben und zusammen mit dem Verlag in die Bestenlisten gehievt. Nun ist herausgekommen, dass vieles darin abgeschrieben ist, und wieder stellt sich die Frage, wie versifft der Betrieb ist, der solche Dinge gutheißt.
Der Fall wäre nicht weiter interessant, wenn da nicht die Rechtfertigungsstrategie wäre: Wir befänden uns, heißt es seitens der Kopistin und ihrer kritischen Entourage, im Zeitalter des Internets, der Autor sei nur noch eine Fiktion und an die Stelle der Originalität trete der Remix von Vorhandenem. Aus dieser Sicht ist dann alles erlaubt, und zur theoretischen Überhöhung bemüht man den Begriff der Intertextualität. Geistiges Eigentum? Schnee von vorgestern. Was uns interessiert, das nehmen wir uns.
Das ist die moderne Piratenlogik, die beim Klauen vorgefundener Daten die Frage nach der Rechtmäßigkeit salopp beiseite wischt; sie wird, wie Gerhard Baum in der Talkrunde „Hart aber fair“ monierte, heute auch regierungsamtlich geduldet, wenn es der Staatskasse dient. Doch den Literaturfall Hegemann sollte man nicht unter der unergiebigen Kategorie „Moral“ ablegen, sondern unter „Urheberrecht“, denn er ist ein Beispiel für die Macht des Faktischen. Aus der Machbarkeit wird Rechtmäßigkeit abgeleitet, was umso leichter ist, als die Rechtsprechung der technischen Entwicklung hoffnungslos hinterherhinkt.
Wie ungemütlich die Situation heute eingeschätzt wird, konnte man Ende Januar an der Medienmesse MIDEM in Cannes erfahren. In den zahlreichen Roundtables mit hochkarätigen Branchenvertretern aus aller Welt ging es nicht um feuilletonkompatible Einzelfälle, sondern um die Zukunft ganzer Industrien und Märkte. Unter dem Generalnenner „Monetising Music“ wurden die Möglichkeiten diskutiert, wie sich die Rechteinhaber einen Teil des Kuchens zurückholen könnten, an dem sich heute im Internet alle gütlich tun, und wie der ungebremsten Erosion von Copyright und Rechtsbewusstsein zu begegnen wäre.
In einer Runde mit Copyright-Anwälten war man sich einig: Man läuft dem Markt stets hinterher und muss sich von der Illusion verabschieden, ihn lenken zu wollen. Die Musikindustrie sollte dem Konsumenten entgegenkommen und auf diese Weise versuchen, den Piraten das Wasser abzugraben. Aber wie? Die Probleme beginnen spätestens bei der Frage nach den Inkasso-Methoden. Sollen die ISPs, die Internet-Provider, als Verteiler die Tantiemen pauschal eintreiben, und nach welchen Regeln? Wie ist der Telefon-Download zu handhaben, der in Ländern wie Brasilien bereits 80 Prozent des gesamten Musikdownloads umfasst? Sollen Copyright-Flatrates eingeführt werden?
Von solchen Flatrates, die ja auch schon in Deutschland diskutiert worden sind, wurde dringend abgeraten. Die Rede war von der taxation trap, der Steuerfalle: Es gehe nicht um eine neue Steuer, sondern um funktionierende Lizenzierung – der Staat soll für einen Gesetzesrahmen sorgen, aber die Finger vom Copyright-Geschäft lassen. Auch international wären Flatrates nicht durchzusetzen: Zwangsgebühren, wie sie etwa die britische BBC erhebe, seien in den USA schlicht gegen die Verfassung. Die unklaren Zuständigkeiten in der Politik wurden beklagt und besonders der EU ein Durcheinander bescheinigt.
Ein schlitzohriger Beitrag kam von einem chinesischen Teilnehmer. Nach ihm gibt es in China den Spruch: Wenn du reich werden willst, gehe in den Grundstückhandel, wenn du arm werden willst, ins Copyright-Geschäft. In China gibt es heute 400 Millionen Musikkonsumenten, aber kein funktionierendes Urheberrecht. Nun überlegt man offenbar, die Lizenzierung der ausländischen Autorenrechte für den Inlandmarkt einer staatlichen Behörde zu übertragen. Doch was als generöses Angebot für die internationalen Rechteinhaber daherkommt, hat seinen Pferdefuß: Der Staat hätte damit auch gleich eine Kontrollfunktion mehr im kulturellen Bereich und könnte zum Beispiel den Import steuern.
Die Copyright-Frage, das zeigen solche Diskussionen, ist eine hochpolitische Angelegenheit. Der Fall des Berliner Kopiermädchens ist sicher ein guter Feuilletonaufreger, aber nur ein Abfallprodukt der Gesamtproblematik. In ihr geht es um die globale Neuordnung des geistigen Eigentums, wenn nicht sogar um seine Neudefinition.