Der Leitartikel von Gerhard Rohde veranlasst mich zu folgender Erwiderung:
Wenn deutsche Orchester in diesen Tagen möglicherweise zu dem Mittel des Vollstreiks greifen müssen, geht deswegen nicht gleich die Welt und schon gar nicht der „Klassikmarkt“ unter. Seit Jahrzehnten waren die Musikervergütungen durch den Orchestertarifvertrag automatisch mit den Vergütungen des öffentlichen Dienstes verknüpft. Kein Orchestermusiker musste für „Prozentpunkte“ auf die Straße gehen. Hier droht eine gravierende Veränderung. Der Arbeitgeberverband (Deutscher Bühnenverein, Köln) hat die einschlägigen Tarifverträge gekündigt. Bereits seit 2004 haben die Musiker die Tariferhöhungen des öffentlichen Dienstes nicht mehr erhalten. Die mehrjährigen Tarifverhandlungen zum Orchestertarifvertrag sind vorerst gescheitert. Streiks sind ein legitimes Mittel der Tarifauseinandersetzung – auch im Orchesterbereich. Die Forderung lautet: Keine Abkopplung der Orchester vom öffentlichen Dienst!
Wenn Herr Rohde jetzt vorschlägt, Tariferhöhungen für die Musiker auf „die Zeit nach der allgemeinen Finanzkrise“ zu verschieben, dann wären die Orchester endgültig vom öffentlichen Dienst abgekoppelt. Es mag starke Kräfte geben, die gerade das wollen. Nur: Warum sollte jemand in Zukunft noch Berufsmusiker werden und sich eine schon in der Kindheit beginnende, aufwändige Musikausbildung antun, wenn er später entweder keinen Arbeitsplatz bekommt, weil weitere Orchesterstellen abgebaut wurden, oder weil die Musikervergütung so unattraktiv geworden ist, dass der junge Mensch dann doch lieber Arzt, Anwalt oder Architekt wird? Vor allem die kleineren und mittleren Orchester, die den „Humus“ der einzigartigen deutschen Musik- und Orchesterlandschaft bilden, klagen inzwischen wieder über Nachwuchsprobleme. Selbst der seit Jahren praktizierte Lohnverzicht vieler Musiker in „Haustarifverträgen“ an rund 40 Standorten, vor allem in den neuen Bundesländern, hat auf Dauer keine Arbeitsplätze gerettet. Lohnzurückhaltung oder gar Lohnverzicht zahlen sich letztlich nicht aus: Deutsche Orchester wurden und werden weiter verkleinert, fusioniert und ganz abgebaut. Dies sind die Szenarien, die den „Markt der Musik“ wirklich gefährden.
Gerald Mertens, Geschäftsführer Deutsche Orchestervereinigung e.V. (DOV).