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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Das Unerhörte klingend machen

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Absolute Beginners 2024/03
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Wie stelle ich eigentlich als Komponist*in ein Stück vor, das noch gar nicht aufgeführt wurde? Früher war die Sachlage recht einfach, denn es gab nur einen einzigen Weg: das Stück am Klavier irgendwie „darzustellen“. Das erzeugt allerlei Probleme: Nicht nur, dass Komponierende mit weniger ausgeprägten Piano-Skills benachteiligt sind, manche Musik (man denke zum Beispiel an Werke mit starken Geräusch­elementen) ist noch nicht mal ansatzweise am Klavier realisierbar. Je nach Umsetzung kann der Eindruck der Musik hierbei vollkommen verfälscht werden.

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Komponierende können sich anhand der Noten normalerweise den Klang vorstellen oder das Stück richtiggehend im Kopf hören. Es ist aber sehr oft notwendig, eine Art „Demo“ eines Stückes für Nicht-Komponierende herzustellen. Mit solchen Demos können zum Beispiel Regisseur*innen, Sänger*innen oder Choreograf*innen eine Vorstellung bekommen, wie das Stück eigentlich so „tut“ oder diese Demos vielleicht sogar zum Proben benutzen, zum Beispiel mit Click-Track. Inzwischen bekomme ich regelmäßig Anfragen von Mitwirkenden, die ganz spezifische Wünsche für diese Demos haben. Auch wenn das technisch alles möglich ist, ist das zusätzliche Arbeit.

Die meisten Notenprogramme kommen inzwischen mit simplen Sounds und Presets für die Wiedergabe. Je mehr Geld man zur Verfügung hat (oder je mehr Zeit man in die Erstellung von eigenen Samples oder die Beherrschung von frei verfügbaren Apps investiert), desto mehr kann man die Qualität dieser Wiedergabe verbessern. Da ein Großteil von zum Beispiel Filmmusik inzwischen rein elektronisch und ohne Hinzunahme von Live-Musikern entsteht (diese gelten inzwischen als Luxus, den sich nur hochwertige Produktionen leisten), ist hier die Grenze nach oben offen. 

Für viele Studierende des Fachs Komposition ist die Erstellung eines perfekten Demos nicht der Fokus, der Fokus liegt auf dem Schreiben einer verständlichen Partitur. Daher entstehen immer wieder Situationen, die voller Missverständnisse sind.

Eine Studentin von mir wurde zum Beispiel vom Auftraggeber eines Musiktheaterwerks gebeten, doch ein Demo der schon fertigen Szenen zu schicken. Nachdem der Auftraggeber die Demos gehört hatte, kamen sie ihm zu „romantisch“ und „altmodisch“ vor. Das war allerdings ein Missverständnis – in der Besetzung des Stücks werden nämlich gänzlich unromantische Instrumente wie E-Gitarre und Drumset ausführlich verwendet, nur eben sehr oft (was bei diesen Instrumenten sinnvoll ist) in vereinfachter Notation, die den Spielern viel Freiheit lässt. Ein Gitarrist kann allein anhand von Akkordsymbolen eine gute Begleitung improvisieren, ebenso wie dies eine Cembalistin anhand von Generalbassbezeichnungen kann. Ein Notenprogramm kann diese Notation (noch) nicht einfach lesen und umsetzen, im Demo erklingt dann einfach nur Stille. Für den Auftraggeber „fehlte“ also etwas, was tatsächlich aber da war, nur eben nicht im Demo.

Und nun kommt es zu einer Art Teufelskreis: da das Niveau von elektronischen Demos inzwischen sehr hoch ist, wird allgemein erwartet, dass man „alles“ möglichst gut im Demo hören kann. Dies ist aber in diesem Fall enorm viel Arbeit – man kann natürlich eine Drumset- und Gitarrenstimme komplett ausnotieren, aber es ist sinnlose Arbeit, wenn man gar nicht will, dass dies dann exakt so gespielt wird. Wenn man allerdings dann sagt, dass man sich doch bitte die E-Gitarre und das Schlagzeug dazu denken sollte, so übersteigt dies die Möglichkeiten der meisten Nicht-Komponierenden, die sich inzwischen an ein „what-you-hear-is-what-you-get“ gewöhnt haben.

Am Ende des Tages bleibt also auch heute das Dilemma: Was bisher nur im Kopf der Komponierenden erklang, wird nur dann Wirklichkeit, wenn man es tatsächlich auch spielt. 

Und das sollte am Ende doch das Ziel sein, solange man für musizierende Menschen schreibt.

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