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Déja vu-Vernetzungen

Untertitel
Nachschlag 2014/02
Publikationsdatum
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In manchem jüngstem Film wird nicht wenig geredet, sinniert, philosophiert, mit Meta-Ebenen jongliert. Manches wird erst nachträglich evident, anderes wiederum schockiert als jähe „Déja vu“-Erfahrung. So gibt es in Ridley Scotts „Counselor“ eine Szene, in der der Anwalt, in die Fänge der texanischen Drogen-Mafia geraten, nicht mehr vorwärts wie rückwärts weiß, ratlos einen ihm halbwegs fast als Vaterfigur vertrauten Kartell-Insider konsultiert. Der gibt dem tödlich Bedrohten, in bester Orakel-Tradition, vieldeutig alles und nichts sagende Weisheiten mit auf den Weg: Diesen nämlich gebe es eigentlich gar nicht; sondern einzig indem er ihn gehe, entstünde dieser, ja erschaffe er ihn sich selbst.

Ebendiese Kunde wird ihm von einem Latino überbracht, was hier kein Zufall ist. Denn der Sinnspruch ist keine spontane Erfindung, vielmehr Zitat eines Gedichts des spanischen Lyrikers Antonio Machado: „Caminante no hay camino / se hace camino al andar“ – also eine hochliterarische Allusion. Doch nicht nur das: Zugleich verweist sie auf eine frühere Mystifikation: Der große Luigi Nono will ebendiese Sentenz 1985 auf einer Klostermauer aus dem dreizehnten Jahrhundert in Toledo entdeckt haben, was immerhin möglich gewesen sein könnte. Aber Nono hat mehrfach Machado vertont, dürfte also dessen „Cantos de Castilla“ gekannt haben.

Auf jeden Fall aber diente ihm der Satz als Titel für eine Werkreihe – und als überschreitendes „Wanderer“-Motto für seine Raum-Klang-Explorationen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem russischen Filmemacher Andrei Tarkowski und dem venezianischen Philosophen Massimo Cacciari. Die unscheinbare Wendung im „Counselor“ lässt, gänzlich unerwartet, einen Sinn-Raum aus Film, Lyrik, Musik, Architektur und Malerei aufscheinen, ein Ikonographie-Concetto der achtziger Jahre – mit Heiner Müller und Robert Wilson als Nebenheiligen. Doch Jorge Luis Borges’  Bild vom „Garten der Wege, die sich verzweigen“ kommt einem häufiger in den Sinn – als gäbe es doch eine geheime Vernetzung der Künste untereinander und über die Jahrzehnte hinweg. Zumindest steigen Erinnerungen hoch an Phänomene von erregender Brisanz. In Frankfurt zum Beispiel wird der französische Maler Théodore Géricault ausgestellt, mit dem selbst Kenner der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts wenig verbinden können.

So bestürzend die Frankfurter Schau Géricaults Darstellung physischer wie psychischer Qualen und Verstümmelungen vor Augen führt, als krasseren Bruder von Delacroix und selbst Goya, so enthält sie doch eine riesige Leerstelle: Ausgerechnet sein monumentales „Radeau de la méduse“ fehlt. Doch primär durch ebendieses „Floß der Medusa“ ist Géricault in der Bundesrepublik bekannt geworden, und zwar sekundär durch ein Musikwerk, primär durch einen Skandal. Denn in Hans Werner Henzes gleichnamigem Oratorium kulminierte seine Entwicklung zum politischen Komponisten, Parteigänger der „Linken“, und die Hamburger Uraufführung 1968 wurde unter Polizei-Einsatz abgebrochen: Der Erfolgskomponist wurde persona non grata. Durch dieses Ereignis wurden Géricault und sein gewaltiges Gemälde für viele erst zum Begriff. Nachträglich wurde dies in der Frankfurter Schirn wieder deutlich.

Doch noch ein weiterer Paradigmen-Umschlag lässt sich hier erfahren. Die John-Cage-Feiern 2012 haben ein wenig in den Hintergrund treten lassen, wie sehr Cage und die mit ihm verbundenen Musiker mit der Bildenden Kunst vertraut waren: Cage besonders mit Robert Rauschenberg, Earle Brown mit Jackson Pollock und Alexander Calder – und Morton Feldman mit Philip Guston. Standen die Maler, auch Willem de Kooning, Mark Rothko oder Barnett Newman, variantenreich für „abstrakten Expressionismus“, so scherte Guston aus dieser Richtung aus:

Eine New Yorker Ausstellung 1970 wurde – ästhetisch – zum Skandal, hatte er sich doch von der Abstraktion ab- und wieder dem Figürlichen zugewandt. Für Feldman war der Schock so groß, dass er die Freundschaft aufkündigte. Dennoch hielt er ihm 1980 die Grabrede, ja hat ihm 1984 noch ein Memorial gewidmet: „for philip guston“ für Flöte, Schlagzeug und Klavier dauert um vier Stunden – in seiner meditativen Zartheit ein Kontrapunkt zur Drastik von Gustons Spätwerk. Die Allianzen, Kehren, Zerwürfnisse der Künstler, hier werden sie zum Ereignis der Ungleichzeitigkeit.

Die Beobachtungen mögen zufällige sein. Oder auch nicht, denn an Zusammenhanglosigkeit lässt sich zweifeln. Wenn Polanskis jüngster Film „Venus im Pelz“ Sacher-Masochs einst berüchtigten Roman adaptiert und Helene Hegemann und ihr Künstler-Kollektiv Frank Wedekinds „Musik“ multimedial übermalen, so erweist sich beides auch als Hommage ans morbid-makabere fin de siècle und die Spielarten des Masochismus. Und dass Wedekinds zugrunde gerichtete Gesangs-Elevin Klara Hühnerwadel von ihrem Lehrer-Lover eine Wagner-Karriere verhießen wird, wirft immerhin ein Licht auf die auch vampiröse Komponente des Musikdramatikers, dem sich zu unterwerfen für viele immer noch höchste Lust ist. 

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