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Moderiert die Treffen der Initiative kulturelle Integration: Olaf Zimmermann. Foto: Deutscher Kulturrat
Moderiert die Treffen der Initiative kulturelle Integration: Olaf Zimmermann. Foto: Deutscher Kulturrat
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Den inneren Kern unserer Gesellschaft bestimmen: Olaf Zimmermann im Gespräch über die neu gegründete Initiative kulturelle Integration

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Angesichts des Flüchtlingszuzugs haben Bundesregierung und Deutscher Kulturrat eine „Initiative kulturelle Integration“ gegründet. Im Gespräch mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen sollen Vorschläge und Ideen für das kulturelle Zusammenwachsen erarbeitet werden. Die Moderation soll der Kulturrat übernehmen, auf den die Idee zurückgeht. Die Ergebnisse sollen zum UNESCO-Welttag der kulturellen Vielfalt im Mai 2017 vorgestellt werden. Andreas Kolb, nmz-Chefredaktion, sprach mit dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann über das Projekt.

neue musikzeitung: Wir sind 2017 mitten im Lutherjahr – seine Thesen sind auch 500 Jahre nach deren Anschlag in Wittenberg noch aktuell. Welche Thesen wollen Sie am 17. Mai veröffentlichen?

Olaf Zimmermann: Kurz gesagt, geht es um die komplizierte Frage: „Wer soll mit welchen Instrumenten in was integriert werden?“ Dabei geht es nicht nur um Geflüchtete, sondern letztendlich um jeden, der in unserem Land lebt. Wenn die Kanzlerin sagt „Deutschland wird Deutschland bleiben“, dann müssen wir wissen, was dieses Deutschland ist, um zu wissen, was es bleibt. Das entspricht der Aufgabenstellung der Initiative, weil hier Staat, Zivilgesellschaft, Kirchen, Medien und die Sozialpartner zusammen sind und über genau diese Frage reden. In 10 bis 15 Thesen wollen wir zusammenfassen, was den inneren Kern des Zusammenlebens in Deutschland ausmacht. 

nmz: Die Bundesregierung ist mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU), Arbeitsministerin Andrea Nahles und der Migrationsbeauftragten Aydan Özoguz (beide SPD) als Mitini­tiatoren beteiligt. Diese Gruppierung ist kein Zufall?

Zimmermann: Das ist überhaupt kein Zufall. Alle haben meiner, auf dem Flüchtlingsgipfel der Bundeskanzlerin vorgeschlagenen Idee, dass wir uns stärker mit dem Thema kultureller Integration befassen müssen, massiv zugestimmt. Ganz zuvorderst der Innenminister, der klarmachte, dass wir genau diese Diskussion führen müssen. Aber auch das Bundesarbeitsministerium, das zusammen mit dem Bundesinnenministerium für Integrationsfragen in der Bundesregierung zuständig ist, hat sofort Interesse gezeigt. Auch der Kulturbereich der Bundesregierung, also die Kulturstaatsministerin und die Beauftragte für Integration wollten mit dabei sein. Durch die genannten vier ministerialen Strukturen, unter Federführung der Kulturstaatsministerin, ist der innere Kern entstanden, der mit uns gemeinsam diese Initiative aus der Taufe gehoben hat. Mittlerweile haben auch das Familienministerium, das Bildungsministerium und das Auswärtige Amt deutlich erklärt, dass sie Interesse an diesen Fragen haben. Das zeigt, dass kulturelle Integration in den Augen der Bundesregierung ein wichtiges Thema ist. Auch das Parlament hat Ende Dezember einen Antrag zu diesem Thema in den Bundestag eingebracht. Da wird unsere Initiative als positives Instrument an erster Stelle genannt. 

nmz: Wie wird man Mitglied dieses exklusiven „Clubs“ für kulturelle Integration?

Zimmermann: Die Teilnehmer stehen fest. Die haben wir gemeinsam mit den Ministerien besprochen. Das geht letztendlich von A wie ARD bis Z wie Zentralrat der Juden in Deutschland. Das sind insgesamt 22 Institutionen, mit denen wir uns an den Tisch setzen. Mit diesen 22 plus die 5 Initiatoren, sind wir insgesamt 27 gesellschaftliche Bereiche, die in wenigen Monaten die Thesen zusammentragen werden. Wir haben jetzt noch drei Sitzungen auf Arbeitsebene vor uns. Im Laufe des Aprils müssen die Ergebnisse vorliegen. Diese werden in den Institutionen abgestimmt werden, damit wir es im Mai vorstellen können. 

nmz: Sie sprechen von kultureller Integration, nicht von Inklusion. Warum?

Zimmermann: Weil Inklusion schon eine Antwort auf eine Frage wäre. Ob wir zu dieser Antwort kommen, ist ja noch vollkommen unklar. Es geht, wie gesagt, zunächst einmal um die Frage, mit welchen Instrumentarien in was integriert werden soll. Eine weitere spannende Frage heißt: Kriegen wir das in diesen doch sehr unterschiedlichen, nicht immer kulturnahen Strukturen und Organisationen auch hin? Da ist der Naturschutzring dabei, der Deutsche Olympische Sportbund, verschiedene Migrantenverbände, die Spitzenorganisationen der Muslime, der Juden, der Christen. Gibt es eine gemeinsame Sprache, finden wir gemeinsame Grundideen, was das Zusammenleben in Deutschland heißt? 

nmz: Will die Initiative kulturelle Integration wieder an die Leitkulturdebatte anknüpfen?

Zimmermann: Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir den politisch verbrannten Begriff der Leitkultur nicht benutzen werden, aber wir werden über die Inhalte selbstverständlich sprechen. Das ist wichtig. Der Kulturbereich hat viel zu lange Tabus aufgebaut, die andere dann genutzt haben und mit ihnen sehr negativen Debatte geführt haben. Ich sehe diese Initiative als Chance an, dass wir wieder sprachfähig werden in diesen zentralen Fragen und nicht weiterhin den Rechtspopulisten die Meinungsführerschaft überlassen. Gibt es einen Wertekanon? Auf alle Fälle wird es Bereiche geben, die können wir nicht einfach zur Disposition stellen. Die sind so zentral, dass sich da alle drauf wiederfinden müssen, egal ob die in Deutschland geboren sind, ob sie in der ersten, zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben oder ob sie gerade als Flüchtlinge zu uns kommen. 

In die Debatten einschalten

nmz: 2017 ist mit drei Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und NRW sowie der Bundestagswahl ein „Super-Wahljahr“. Wie und wo wollen Sie sich einmischen in Fragen der Zuwanderungspolitik?

Zimmermann: Es ist sehr gut, dass wir diese Wahlen haben. Ich gehe davon aus, dass wir eine heftige Debatte zu Integrationsfragen haben werden. Ich hoffe sehr, dass wir uns positiv in diese Debatte einschalten können und dass wir den Populisten den Schneid abkaufen. Das bedeutet aber auch, dass über manche Vorstellungen von Integration gerade im Kulturbereich kritischer gesprochen werden muss. 

nmz: Zum Beispiel?

Zimmermann: Transkulturalität zum Beispiel. Also die Annahme, dass, wenn verschiedene Kulturen zusammenkommen, automatisch eine neue Kultur entsteht, die die vorhandenen ersetzen würde. Das ist nicht das, was die meis­ten Menschen in unserem Land und in anderen Ländern der Welt wollen. 

nmz: Für den Bereich Musik kann ich schon Akkulturationsprozesse belegen, sowohl in der Geschichte der Klassik, als auch für den Jazz.

Zimmermann: Jazz ist ein absolut gelungenes Beispiel, wo eine Musik einer anfangs eng begrenzten Gruppe weltweit die Kunst positiv verändert hat und sich selbst immer weiter verändert. Kultur und auch Kunst ist aber nicht nur das verbindende, sondern oftmals genau das Gegenteil: Wenn wir über kulturelle Vielfalt sprechen, heißt das ja auch immer, dass wir darüber reden müssen, dass Vielfalt nur entstehen kann, wenn es eine Abgrenzung untereinander gibt. Wir sollten uns darauf einigen, dass wir so viel unterschiedliche Kultur haben wollen, wie eine Gesellschaft aushält.

nmz: Gehen Sie denn nicht davon aus, dass man Kultur eine Schlüsselfunktion im Bereich der Integration zusprechen kann?

Zimmermann: Ohne die Kultur funktioniert Integration überhaupt nicht. Wenn wir die Flüchtlingsdebatte in Deutschland betrachten, haben wir am Anfang eine ganz mechanistische Integration gehabt: Notmaßnahmen mussten getroffen werden, Unterkünfte mussten gebaut werden, Zeltstädte. Alles vernünftig. Dann hat man den nächsten Schritt gemacht und gesagt, wir müssen die Menschen befähigen, in Deutschland leben zu können, sich verständigen zu können und im besten Fall arbeiten zu können. Damit war oft die kulturelle Integration schon zu Ende. Nicht weil ich Deutsch gelernt habe, bin ich schon integriert. 
Nehmen Sie die vielen Geflüchteten aus Syrien als Beispiel: Die sind aus absolut nachvollziehbaren Gründen geflüchtet und haben nach unserer Verfassung ein Recht darauf, bei uns Asyl zu beantragen. Sie kommen aber aus einer Gesellschaft, in der ihnen Antisemitismus von Kindesbeinen an eingeimpft wurde, der in Syrien, wenn man so will, Staatsräson ist. Wir in Deutschland haben dagegen ein ganz besonderes Verhältnis zum Judentum, weil wir in unserer Geschichte den Antisemitismus bis zur absoluten Perversion getrieben haben. Gehört es zur kulturellen Freiheit eines Syrers, Antisemit zu sein? Nicht, wenn er in Deutschland lebt. Da endet diese kulturelle Freiheit.

nmz: Noch einmal nachgefragt. Warum neue Thesen postulieren? Sind solche unabänderlichen Größen wie Gleichheit von Mann und Frau, Meinungsfreiheit, Presse- und Kunstfreiheit nicht bereits Grundgesetz formuliert? 

Zimmermann: Das Grundgesetz ist die Basis. Ich glaube aber nicht, dass die Paragrafen des Grundgesetzes alleine ausreichen, um die Integrationsdebatte erfolgreich zu führen. Wir brauchen mehr. Beispiele: Die Demonstrationen der PEGIDA sind selbstverständlich legal, trotzdem kann ich sie nicht gut finden. Das ist der Punkt, unser GG sagt ganz klar: Selbstverständlich darf ich auch Rechtspopulist sein. Ich darf zur Wahl antreten, ich darf gewählt werden, darf auch ein Regierungsamt ausfüllen. Selbst die rechtsextremistische NPD wird nicht verboten. Trotzdem kann ich sagen, dass ich das nicht gut finde. Über diese Sachen müssen wir uns verständigen, da reicht das GG nicht aus.

Welche Werte retten wir?

nmz: Brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag? Eine neue Kultur der Vernunft?

Zimmermann: Einen neuen Gesellschaftsvertrag, das weiß ich nicht. Aber zumindest brauchen wir eine neue Gesellschaftsdebatte. Es geht dabei nicht nur um die Vernunft. Das ist ein aufgeklärter Impetus, der mir sympathisch ist. Immer mehr Fragen, die die Menschen heute berühren, haben jedoch mit Aufklärung wenig zu tun, sondern mehr mit religiösen Fragen. Es wird eher einen Kampf darum geben, welche Werte der Aufklärung wir in die Zukunft retten können.

nmz: Wie gestaltet sich die Rolle des Deutschen Kulturrates in diesem Prozess? Wie nachhaltig ist das Projekt?

Zimmermann: In Absprache mit den vier genannten Ministerien hat der Deutsche Kulturrat die Aufgabe der Koordination übernommen und ich moderiere die Treffen der Initiative. Ziel ist es wie gesagt, zehn bis 15 Thesen zu erarbeiten. Vielleicht bekommen wir noch Handlungsvorschläge für die nächste Legislaturperiode gebacken. Was die Nachhaltigkeit angeht, das ist keine Initiative für die Ewigkeit, sie endet am 21. Mai, dem internationalen Tag der kulturellen Vielfalt. Bereits am 17. Mai werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt. 
Es werden die führenden Köpfe der genannten Organisationen da sein. Es wird sehr hoch aufgehängt werden – ich hoffe, dass die Öffentlichkeit dies wahrnimmt. Die Medien sind zum Teil Partner und ich hoffe, sie berichten auch. Ich wünsche mir, unsere Thesen zur kulturellen Integration werden in der Gesellschaft debattiert. Und dass der Innenminister sich auch einmal in einer Talkshow darauf beruft, oder dass der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes befragt wird, und er sich darauf bezieht. Man kann das nicht per ordre de Mufti vorschreiben, man kann darum nur werben. Ich habe die Hoffnung, dass unsere Arbeit im Wahlkampf eine Rolle spielt. Dass wir dann sprachfähig sein werden, insbesondere dann, wenn Rechtpopulisten versuchen, die Debatte zu bestimmen.

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