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Sven Ferchow. Foto: Selfie
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Depp im Park

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Ferchows Fenstersturz 2022/07
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Dass wir Deutschen für vieles zu blöd sind – geschenkt: Du verdienst 2.000 netto, ballerst aber 7.000 im Monat raus? Peter Zwegat hilft. Deine Kinder stören beim morgendlichen Umtrunk, weil sie Frühstück wollen? Katja Saalfrank baut eine stille Treppe. Du eröffnest als Ex-Banker eine Kneipe, versäufst aber den kümmerlichen Gewinn vor Steuern direkt unterm Zapfhahn? Christian Rach stellt dir den Gasherd richtig ein. Alles bekannt. Neu ist allerdings, dass der deutsche Festivalgänger offenbar auch für dämlich gehalten wird. Kurz vor Beginn des fränkischen „Rock im Park“ Festivals 2022“ hat sich der Veranstalter etwas einfallen lassen.

Um die Musikfans noch mehr zu melken, wurde ein neues Bezahlsystem installiert. Und in lupenreinem Fränkisch erklärt: „Faster, Safer, Better … ab sofort bezahlst du mit einem Cashless-Chip an deinem Wristband … dafür stehen Top-up-Stationen zur Verfügung“. Wichtig: Unbedingt vorab Guthaben hochladen. Wer erst vor Ort reagiert, dem werden zwei Euro Strafe berechnet. Nach dem Festival lässt sich das Restguthaben zurückfordern. Insider sprechen „by the way“ vom „Mal schauen, ob sich die besoffenen Hammeln nach drei Tagen Koma noch an ein Guthaben erinnern können“-Model.

Allerdings. Einen Vorteil hat das Pre-Cash-Wristband. Kann man doch per „Pre-Orders“ schon Stunden im Voraus sein Bier (leider warm dann) und die „Shower & Toilet Flatrate“ vorbestellen. Wobei Duschen und Toiletten bei einem Festival schon etwas abstoßend wirken, liebe Veranstalter. Und weil bei einem Festival ja niemand Musik hören möchte, sondern vor allem mit „Sexismus, Homophobie, Rassismus und sons­tigen Entgleisungen“ beschäftigt ist, gibt es 2022 eine weitere Neuerung: das Awareness Team (fränkisch für Kindergarten). Eine Anlaufstelle zum Petzen. Gehörte es einst zum guten Festival-Ton, sich am Zaun stehend gegenseitig über die Schuhe zu pieseln und sich dabei respektvoll ob der vernichteten Bruttoregistertonnen Bier anzugrinsen, läuft man 2022 zum Awareness Team und denunziert: „Erstens wurde am Zaun wild uriniert, zweitens wurden dabei meine Air Jordans beschmutzt“. Für die Gerichtsbarkeit sorgen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst.

Ein Festival als Umerziehungslager also. Gerne mit der Option, im Nebenzelt Tattoos und falsche Lebenseinstellungen von Tatjana Gsell (Sie erinnern die Witwe des ermordeten Nürnberger Beauty-Docs?) weglasern zu lassen. So ein homogen gechipptes Festivalvolk kann dann übrigens auch mal im Nachbarland einmarschieren. Deshalb möchte ich mich beim Awareness Team für die Überschrift entschuldigen. Korrekt müsste es lauten: „Deppin und Depp im Park“. Nicht dass mir das SEK die Haustür aufstemmt und durch die Reihenhaussiedlung brüllt: „Hände an die Wand, Füße auseinander. Du kennst das Spiel ja“. Stimmt. Schließlich waren dies jahrelang die letzten Worte nach einem fröhlichen Festivaltag im auf Halbmast stehenden Zelt zwischen tropfenden Bierdosen und erkalteten Bratwurstsemmeln.

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