Die Besucher der Premiere von Richard Wagners „Tannhäuser“ am 4. Mai stürzten sich wutentbrannt auf den regieführenden Opernnovizen Burkhard C. Kosminski (Intendant des Mannheimer Schauspiels), die Feuilletons wenig später auf seinen Amtskollegen an der Deutschen Oper am Rhein, Christoph Meyer. Kosminskis Konzept: die erotischen Ausschweifungen des Minnesängers könnten heute nicht mehr als „furchtbares Verbrechen“ gebrandmarkt werden. So zeigt er Wagners Titelhelden als Nazi-Schergen, der auf Weisung der KZ-Aufseherin Venus in einer stummen, die Musik minutenlang unterbrechenden Szene eine jüdische Familie exekutiert. Einige Zuschauer waren von der Brutalität dieses Bildes derart schockiert, dass sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mussten.
Dieses Faktum nahm Intendant Meyer letztendlich zum Anlass, die Inszenierung, an welcher Kosminski nichts Grundsätzliches zu ändern bereit war, nur noch konzertant zu bieten. Diese Entscheidung war fraglos ehrenwert angedacht, zog aber keine Möglichkeit in Betracht, sich mit dem Publikum zu verständigen. Denkbar wäre gewesen, vor jeder Vorstellung „Warnhinweise“ zu geben. Im Übrigen ist, so ein offener Brief der Berliner Akademie der Künste an die Verantwortlichen der Rheinoper „Kunst – gleich welcher Güte – keine Schönwetterangelegenheit. Ob sie irrt oder im Recht ist, muss diskutiert werden“.
Bereits im Vorfeld der Produktion wäre mit kritischem Augenmaß zu diskutieren gewesen. Kosminski hatte sein Konzept ein Jahr vor Probenbeginn dargelegt. Meyers leicht bieder wirkende Fürsorglichkeit wirkt als primärer Entscheidungsgrund für seine Maßnahme nur bedingt glaubhaft. Man hat sie wohl eher als fadenscheinigen Verteidigungs-Coup anzusehen. Dabei wurden in der Vergangenheit auf wesentlich dramatischere Begebenheiten mutiger reagiert. Erinnert sei nur an die Bombendrohungen bei der Frankfurter „Aida“ von Hans Neuenfels 1981. Sein Berliner „Idomeneo“ wurde bei der Wiederaufnahme 2006 aus Furcht vor islamischer Gewalt für einige Zeit zwar aus dem Verkehr gezogen, dann aber mit all seinen Provokationen unverändert weiter gespielt. Etwas mehr Rückgrat wäre in Düsseldorf also zu wünschen gewesen.
Einigermaßen fragwürdig wirkt auch Meyers Äußerung in einer lokalen Zeitung kurz nach der Premiere und noch vor seiner Entscheidung, den „Tannhäuser“ nur noch ohne Szene zu geben: „Ich bin kein Intendant, der es auf Skandale anlegt.“ Und wenn er weiterhin sagt „Die Wucht der Reaktion hat uns in dieser Form überrascht“, muss ihm zumindest Naivität angelastet werden. Meyer hätte samt seinem Leitungsteam voraussehen müssen, dass die Inszenierung Kosminskis nicht nur heftigen Widerspruch, sondern auch massiven Widerstand hervorrufen würde. Es ist dem Intendanten sicher nicht zu unterstellen, dass er Provokation gezielt angepeilt habe, aber mit biederen Aufführungen bleibt ein Theater heute kaum noch im Gespräch. Da wird Fatales, Geschmackloses, Gemeines halt schon mal geduldet.
Kosminski ließ indes im „Spiegel“ verlauten: „Meine Inszenierung verhöhnt Opfer nicht, sondern beklagt sie.“ Mit dieser Aussage könnte er sich sogar auf die Jüdische Gemeinde Düsseldorf berufen, welche die Absetzung der Aufführung nicht gefordert hatte, obwohl ein Moment im Finale des 3. Aufzugs, wo das von Tannhäuser erschossene, blutige Kind seinen Mörder quasi als Zeichen von Entsühnung umarmt, dazu durchaus hätte Anlass geben können. Wie immer man Kosminskis Arbeit qualitativ auch beurteilen mag, sie wirft einmal mehr grundsätzliche Fragen darüber auf, wo Grenzen einer Interpretation liegen, wo sich eine Deutungsidee verselbstständigt und dabei die Aussagekraft von Musik missachtet. Es gibt durchaus Regisseure, welche aufregend modernes Musiktheater mit kraftvoll individueller Akzentuierung zu machen verstehen, ohne den Geist eines Werkes zu ignorieren. Die Diskussionen um den Düsseldorfer „Tannhäuser“ sind mit Sicherheit noch nicht zu Ende.