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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

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Die ängstliche Generation?

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Absolute Beginners 2024/05
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Im Internet kann man hunderte Kommentare über die sogenannte „Generation Z“ lesen, darunter viele Berichte von Professorinnen und Professoren, die über die „Mutlosigkeit“ und „Ängstlichkeit“ ihrer Studierenden philosophieren. Diese junge Generation mache sich viel mehr als vorige Generationen Sorgen über die Zukunft, sei aber zugleich angepasster und ohne Eigeninitiative, brauche klare Vorgaben, um überhaupt in die Gänge zu kommen und sei einfach ohne Mumm und Mut.

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Mich beschleicht bei solchen Betrachtungen immer das Gefühl, dass hier eher das auf die junge Generation projiziert wird, an was es den Älteren fehlt. Die Jungen sind nicht in der Überzahl, wenn sich also Mutlosigkeit breit macht, liegt das ganz sicher nicht an ihnen. Sie reagieren eher auf das, was ihnen vorgelebt wird. 

Wie viele Eltern gibt es heute, die ihren Kindern dazu raten, eine künstlerische und damit ungewisse Laufbahn einzuschlagen? Sicherlich nicht viele und sicherlich noch viel weniger als in den vergangenen Jahrzehnten. In unserem Land der Dichter und Denker herrscht eine immer größere Skepsis gegenüber Kultur. Einerseits gibt es Kräfte, die Bildung und Kultur am liebsten abschaffen würden, da sie ihren populistischen Bestrebungen im Weg sind, andere wiederum wollen uns so zähmen, dass wir möglichst niemanden beleidigen. Wenn vor jedem kleinen Gedicht oder jeder Pointe eine Triggerwarnung ausgesprochen werden muss, wenn ständig das, was Figuren in einer erfundenen Geschichte von sich geben, mit den Intentionen der Autoren gleichgesetzt wird, wenn überhaupt nichts beunruhigend oder überfordernd sein darf, wenn wir beginnen, Vergangenes umzuschreiben, damit es uns nicht ärgert, wird der Beruf einer Künstlerin zunehmend unattraktiver. Denn Kunst lebt auch von Provokation, von Grenzüberschreitung, vom Ungewissen.

Und überhaupt: das Ungewisse. Unsere Gesellschaft will gesicherte Verhältnisse, alles nicht Kontrollierbare ist ihr ein Gräuel. Diese Ängstlichkeit leben wir den Jungen vor, und es ist kein Wunder, dass sie davon verunsichert werden.

Ich habe die wunderbarsten Studierenden der Welt, aber auch ich merke, dass ich sehr viel Zeit damit verbringe, sie zu ermutigen. Das lohnt sich aber. Zu viele junge Menschen bekommen ständig von uns Älteren zu hören, dass sie dies und das lieber nicht tun sollten oder dürfen. Ich versuche meinen Studierenden daher das Gegenteil zu vermitteln: Seid mutig, lasst euch nicht unterkriegen. Ja, der Komponistenberuf bietet keinerlei Sicherheit und reich werdet ihr vermutlich damit nicht werden, außer ihr verratet das, was ihr eigentlich sagen wollt und passt euch an. Aber ihr könnt die Freiheit genießen, die mit dieser „Unsicherheit“ einhergeht. Ihr lebt in einem der reichsten Länder der Welt und euch geht es vergleichsweise sehr gut. Ihr werdet nicht verhungern, wenn ihr nicht mit Aufträgen überschüttet werdet. Es gibt unendlich viele Weisen, als Künstlerin oder als Künstler irgendwie zu überleben und es ist nicht die geringste Schande, andere Einnahmequellen zu suchen, solange man sich die Freiheit zum Komponieren bewahrt. Ich kenne einen Kollegen, der sein Geld damit verdient, analoge Fotoautomaten aufzustellen und zu warten. Charles Ives war Versicherungskaufmann und gleichzeitig einer der größten Komponisten der amerikanischen Musikgeschichte. Es geht, man kann einen Weg finden, über die Runden zu kommen. Aber bitte schreibt, komponiert, dichtet! Seid unbequem denen gegenüber, denen die Bequemlichkeit nicht gut getan hat. Seid die Stimme der Schwachen. Befragt unsere Zeit danach, woran sie leidet, und macht Kunst darüber. 

Die junge Generation ist – wie alle Generationen vor ihr – gesegnet mit unendlich viel Talent und Potenzial. Aber sie kann auch kleingehalten werden von denen, die keine Veränderung wollen. Wir sollten uns alle fragen, ob das wirklich in unserem Interesse ist. 

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