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Die Musikwolke (www.beckmesser.de 2011/03)

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Die Menschheit ist zunehmend online. Bei uns gehört ein DSL-Anschluss heute zum Alltag, und anderswo werden mit Mobiltelefon und Facebook bereits Revolutionen angezettelt. Doch wer glaubt, die Möglichkeiten des Internets seien damit ausgereizt, täuscht sich. Die Industrie arbeitet bereits an neuen Technologien und entsprechend neuen Zugangsstandards, und das immer mit Blick auf die globale Verwendbarkeit.

Das Stichwort heißt Cloud Computing und, übertragen auf die Musik, Cloud Music. Das Prinzip ist einleuchtend, wenn auch unter dem Aspekt der Datensicherheit waghalsig: Das Unternehmen, in diesem Fall der Musikanbieter, hostet seine Daten nicht mehr auf dem eigenen Server, sondern gibt sie weiter an global agierende Spezialfirmen, die sie in gigantischen, terroristensicheren Speicherfarmen irgendwo zwischen Australien und Kalifornien hüten. Wer zugangsberechtigt ist, kann sie überall und jederzeit nutzen, und zwar – das ist der Clou – in interaktiver Form. Das ist nicht Science Fiction, sondern punktuell bereits Alltag: Wer seine Filmchen bei YouTube veröffentlicht, betreibt ebenso Cloud Computing wie derjenige, der seine Weisheiten auf Facebook deponiert.

Bei der MIDEM, der Musik- und Medienmesse in Cannes, schwärmten nun die Spitzenvertreter der Musikmultis von den ungeahnten Möglichkeiten der neuen Technologie. IT-Fachleute warnten zwar vor den technischen, rechtlichen und politischen Fallstricken, versicherten aber, sie seien gerade dabei, diese Probleme dauerhaft zu lösen. Und Tim Schaaff, Präsident von Sony Network Entertainment, der in Kalifornien eine über alle Kontinente verstreute Spezialistentruppe koordiniert, erklärte, dass demnächst jährlich weltweit 350 Millionen Geräte – vom Telefon über den Fernseher bis zum Autoradio – verkauft würden, die alle etwas gemeinsam hätten: einen einheitlichen Zugang zum Musikangebot im Internet. Werbemotto: „Music unlimited“.

Geht es nach der Industrie, so sind CD und Download out. Die Zukunft gehört dem Streaming. Der Wunschkonsument der Konzerne kauft dann nicht mehr physische Produkte, sondern Zugang. Er abonniert einen Musikkanal, klickt sich mit dem Telefon, iPod oder Computer ein und wählt aus dem millionenfachen Angebot der virtuellen Musikwolke exakt das aus, worauf er gerade Lust hat: Lady Gaga, ABBA, Dada oder Beethovens Neunte. Und das alles in einer Klangqualität, die sich auch noch auf der heimischen Surround-Anlage gut anhört. Das Abspeichern oder Stapeln im CD-Regal erübrigt sich. Die Musik ist ja jederzeit abrufbar.

Früher verglich man den Internetanschluss mit einer Röhre, aus der die Musik mal fließt, mal tröpfelt. Kommt sie demnächst aus der Wolke, ändert das wieder einmal alles. Selbst die berüchtigten Tauschbörsen werden dann alt aussehen – wer lässt sich schon auf Beschaffungskriminalität ein, wenn der Stoff überall und halb gratis zu haben ist? Und der Musikhörer, der mit dem Knopf im Ohr durch den Alltag wandert, muss mit Klimaveränderungen rechnen. Vorsicht vor Dauerregen!
 

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