Wie Variationen mit einem Thema, und zwar wie kontrasthaltige Charaktervariationen muten Rezensionen an, die H. G. Bastians Veröffentlichung „(Musik)Erziehung und ihre Wirkung“ gelten und Journale wie Zeitschriften füllen.
Wie Variationen mit einem Thema, und zwar wie kontrasthaltige Charaktervariationen muten Rezensionen an, die H. G. Bastians Veröffentlichung „(Musik)Erziehung und ihre Wirkung“ gelten und Journale wie Zeitschriften füllen.Einer wissenschaftlichen Arbeit, so sagt man wohl, kann nichts Besseres passieren, als dass sie auch als ein „controversial book“ von kompetenten Kritikern gelobt und getadelt wird. Denn Kritik ist eine Bedingungs- und Bewegungsform von Wissenschaft. Diese serviert nicht nur unüberholbare Ergebnisse und Wirkungen – ein Merkmal, das quasi spiegelbildlich auch Besprechungen zukommen sollte, selbst wenn sie sich nur fragmentarisch auf ihren Gegenstand und auf nachgereichte Repliken eines Autors einlassen können. Streitkultur zeichnet sich nicht durch den scharfzüngigen Austausch von Unversöhnlichkeiten aus, dies zumal angesichts „desaströser Wirklichkeit unserer Musikkultur und deren Kulturpolitik“, die I. Csampai und nicht minder H. G. Bastian anklagen. Einer Streitkultur sollte unter anderem jener sensitive Indikator von „Bildung“ zukommen, die „da vorhanden ist, wo einer die Gedanken eines anderen, auch wenn er sie nicht teilt, zu verstehen sucht“ (Hegel). Verstehen aber setzt voraus und bedeutet schon etymologisch bemühte Einsicht (lat. intelligencia) und sorgsame Durchsicht, will sagen: Durchlesen (legere in „Intelligen“) eines voluminösen Bandes, eben „Intelligenz“. Streitkultur bezeugt, wer, ohne sich anzudienen, sachlich beurteilt, nicht brüsk verurteilt. Bei der Lektüre einiger Besprechungen und Leserbriefe, unter anderem von Csampai, wird man den Eindruck nicht los, dass die Autoren es an Ein- und Durchsicht haben fehlen lassen, wenn etwa nicht einmal in einem Nebensatz, geschweige denn „investigativ“, eine kritische Sonde an die vorliegende Testforschung angelegt wird, die ja sowohl der quantitativen und qualitativen Methodik als auch den fachpolitischen Folgen und Forderungen zugrunde liegt, oder wenn – Intensivzone der Kontroversen – der ästhetische und didaktische Problemkomplex außer- und überfachlicher Transferleistung der (Musik-)Erziehung als eines Mehrwertes musikalischen Lernens undifferenziert mit Schwarz-Weiß-Malerei abgetan wird.Im sorgenden Bedenken einer Diskursethik wähle ich Csampais Philippika, die an den Urtyp solcher Strafrede beim alten Demosthenes erinnert. Ist es zu verstehen und „ziemlich“, vom Einzelfall aufs Allgemeine zu schließen und „die Musikbegabungsforscher“ wegen „Alibiforschung“ und „reinsten Lippenbekenntnisses“ apodiktisch zu verurteilen? Denn – so Csampai – sie würden dem Vollzugsdefizit in der Wirklichkeit nicht im unbedingten linearen Kontinuum beikommen – ein fragwürdiges Wissenschaftstheorem. Ich erspare es mir, das angeblich identitätsstiftende hermetische Refugium dieser Forschergruppe (zu der ich nicht zähle) mit ihrer „wirklichen“ Tätigkeit vor Ort zu widerlegen. Ist strapaziöse Langzeitforschung keine Wissenschaft, weil sie „ein alberner Eiertanz für nichts und wieder nichts“ ist und „als Forschungsergebnisse repräsentiert, was man schon längst wuss-te“? Mir trat hier als Vergleich, nicht als Gleichsetzung, in die Erinnerung jenes Diktum, wonach alles, was nach Brahms geschrieben sei, „nicht Musik ist“. Repräsentiert nicht auch „schlicht und einfach Schnee von gestern“, wer gegen „optimale Förderung durch Musik“ zu Felde zieht, gleichwohl aber dagegen setzt: „,Musik für Kinder‘ fördern beziehungsweise die dem Kind innewohnenden musikalischen Kräfte natürlich zu entwickeln“? Denn das hat man wörtlich etwa schon bei F. Jöde gelesen. Ich breche ab und zitiere Csampais Schlusssatz: „Bitte mit mehr Intelligenz!“.
Eine Analyse der Rezeptionsgeschichte, in welche die Berliner Studie eingetreten ist, wird im abständig kritischen Fadenkreuz die kontroverse Befundlage nach verständigen und missverständlichen Einlassungen anvisieren und zu sondieren haben. Sie wird dabei auch hier „die Heterogenität der Wirkungen“ (E. Spranger) im Spannungsfeld von Wollen und Vollbringen versuchen zu (er)klären. Maßgebend für die Wirkungsforschung über eine fundiert empirisch-analytische Untersuchung ist zunächst, forschungsimmanent zu argumentieren und zu fragen: Was leistet die Berliner Stichprobe, quasi ihr „Wahrheitskriterium“, mit dieser ihrer methodischen Anlage und unter diesen ihren lokalen situativen, institutionellen und personellen Bedingungen?