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Die Tat als Lohn

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Das Geschäftsmäßige greift um sich. Das Orchester Suhl wurde nun dennoch protokollgemäß abgewickelt, der Hungerstreik wirkt im Nachhinein wie ein letzter Kampf gegen Windmühlen. Der Eindruck eines routinierten Tagesablaufs im Umgang mit Musik, beherrscht vom Leben nach Stundenplan und von gewerkschaftlich ausgehandelten Soll-Leistungen, drängt sich immer wieder auf, wenn man Programme studiert, Abonnementsaufführungen verfolgt. Kann es nicht sein, daß es auch diese resignative, in bezug auf die Motivation ratlose Haltung war, die letztlich den zu Beginn so emphatischen Suhler Kampf allmählich erstickte? Wirklich scheint es immer schwerer zu werden, den Orchestermusiker in seinem Tun anzuspornen. Immer seltener vermag er sein Wirken als ästhetische Tat zu begreifen, das den größten Lohn aus sich selbst heraus bezieht (ohne daß hierbei der finanzielle Aspekt vernachlässigt werden soll).Gemeinsames Musizieren enspringt doch einem ganz ursprünglichen Bedürfnis, das von Lust am Tun, von innerer Freude getragen ist. Diese uralte Antriebskraft, die ihr eigenes Selbstwertgefühl ganz allein aus sich heraus entwickelt, scheint aber im heutigen Musikleben eine immer geringere Bedeutung zu spielen. In der letzten Nummer der nmz wurden im Schallplattenteil Einspielungen des Ostbottnischen Kammerorchesters aus Kokkola in Finnland vorgestellt. Dieses Ensemble feierte nun mit seinem Gründer und Leiter Juha Kangas im September seinen 25. Geburtstag und das Jubiläumskonzert bestätigte noch einmal: Bei diesem Streicherorchester ist vieles anders. Hier wird modellhaft vorgeführt, wie orchestrales Zusammenspiel aussehen sollte. Viel wird heute von Motivationstraining, von Steigerung des Selbstbewußtseins gesprochen, so manche Psychiater, aber auch irgendwelche eigenernannten Mentalklempner erzielen ein Gutteil ihrer Einnahmen aus solchen Ressourcen. Die Erfolge bleiben zumeist spärlich. Es geht aber – zumindest im Musikalischen oder in anderen künstlerischen Tätigkeiten – auch einfacher. Freilich ist es so – schon Brecht betonte das einmal –, daß auch das Einfache schwer zu machen ist. Wirklich kostete es eine Menge an konstanter Arbeit und an Mühen, ehe mit dem Ostbottnischen Kammerorchester ein Klangkörper geformt war, der gleichsam die Energien für das weitere Schaffen aus dem eigenen gegenwärtigen Tun zu ziehen vermag. Denn ursprünglich hatte man ja nicht eine Versammlung von genialen Musikern zur Hand, die nur aufeinander abgestimmt werden mußten. Man hatte aber Musiker, die begeistert und mit Elan an einer Sache arbeiten wollten. Und es scheint so, als sei gerade dies, zumindest auf lange Sicht, der einzig gangbare Weg. Mehr und mehr wurde in jahrelanger gemeinsamer Tätigkeit reichlich Ernte eingebracht, die Bewältigung einer Aufgabe setzte, das verfestigte sich in den Musikern, die Meßlatte für die nächste höher. Zeitgenössisches und tradiertes Repertoire sind gleichermaßen selbstverständlich. So aber muß künstlerische Tat aussehen, die nicht im eigenen Getriebe ersticken soll. Begeisterung braucht hier nicht mehr oder weniger künstlich geweckt werden, sie wächst mit dem Tun, mit der Freude am Ergebnis, mit der Weitung der eigenen Kritikfähigkeit mit. So braucht der Leiter Juha Kangas kein autoritäres Gehabe an den Tag legen, fragliche Stellen werden oft gemeinsam ausdiskutiert. Er muß nicht Probenzeiten erzwingen, denn jeder weiß selbst, wo es noch fehlt, woran gearbeitet werden muß. Der Lohn ist jeweils die aufkeimende Musik selbst. So einfach und zugleich so schwer ist etwas entstanden, das mit einem sich selbst generierenden System zu vergleichen wäre. Das Ostbottnische Kammerorchester ist nicht allein ein absolut führendes Streicherensemble weltweit, es weist zugleich den Weg, in welche Richtung Orchesterarbeit schöpferisch voranzudenken wäre. Wir kommen vom hohen Norden zurück nach Mitteleuropa. Die Stadt München, so verlautet es, hat für die Philharmoniker James Levine als Leiter auserkoren. Gleich als Zusatznote wird angefügt, daß man so schnell nicht mit einem absoluten Einsatz von Levine für das Orchester rechnen könne. Das sei bei absoluten Spitzenmusikern eben der Fall. Es ist erstaunlich, wie schnell man vergessen hat, daß man mit Celibidache einen Dirigenten hatte, der – auf freilich ganz andere Weise – über zukünftige Orchesterarbeit nachgedacht hat. Hier anzusetzen hatte man wohl nicht den Mut. Man setzte auf ein scheinbar sicheres, weil international rennomiertes, Pferd. Über dieser Taktik könnte man freilich die Strategie (sie heißt orchestrale Zukunft) aus dem Auge verloren haben.

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