Vor kurzem drohte ein Leserbriefschreiber im „Spiegel“, er werde jetzt Kindergeld beantragen. Denn das stehe ihm zweifellos zu. Zwar habe er keine Kinder, aber die „Geräte“ dafür stünden bereit. Das war, natürlich, an die Adresse der GEZ („Schon GEZahlt?“) und der Medien-Politiker gerichtet. Die nämlich sind unendlich einfallsreich, wenn es darum geht, Gebühren für Leistungen einzutreiben, die man gar nicht in Anspruch nimmt und an denen man auch nicht interessiert ist. Die Gesellschaft ist längst so „total“ geworden und der Bürger so sehr einem Normalisierungszwang unterworfen, dass der Andersdenkende und -lebende in ihren Konzepten gar nicht mehr vorkommt und sich jeder, der abweicht, bloß einem bösen Verdacht aussetzt: Der profane Gebühreneintreiber und seine „Zentrale“ können sich einfach nicht vorstellen, dass es ein Leben ohne Fernsehen geben kann. „Total“ ist die Gesellschaft mittlerweile auch in anderer Hinsicht. Wer ein schlichtes Telefon möchte, mit dem man anrufen und Anrufe entgegen nehmen kann, der ist gezwungen, ein paar hundert Funktionen mitzukaufen, welche die Hersteller offenbar für unverzichtbar halten. Der „user“ wird da gar nicht gefragt. Fatal könnte sich das für die auswirken, die einen PC haben, um mit ihm zu arbeiten (schreiben, archivieren), jetzt aber erfahren müssen, dass es sich in Wahrheit um einen Fernseher oder zumindest um ein Radiogerät handelt, für das man Gebühren entrichten muss. Denn es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern was man tun könnte. Der „Spiegel“-Leser hat das begriffen: Nicht nur Kinder, die man hat, sondern auch Kinder, die man haben könnte, begründen einen Kindergeldanspruch. Weil „die“ Wirtschaft auf die Gebührenpflichtigkeit von PCs eklig reagiert, gehen die Medienpolitiker gleich einen ganzen gewaltigen Schritt weiter und sehen den „Stein der Weisen“ in einer veritablen Gebühren-Revolution: Jede Person, jeder Haushalt muss zahlen. Diese universelle Medienabgabe befreit sich vom letzten Erdenrest („Vorrätighalten“ eines wie immer gearteten Geräts, ganz gleich, ob und wie man es nutzt) und geht davon aus, dass, „im Prinzip“, jeder ein Mediennutzer ist. Und wenn er sich der „Nutzung“ eines Mediums verweigert, das der normale Bürger ganz selbstverständlich nutzt, dann darf er nicht auch noch einen „geldwerten“ Vorteil davon haben. Warum soll der gestresste Unternehmer für seine PCs zahlen und der Hartz IV-Empfänger nicht, bloß weil er sich darauf versteift, ausschließlich Bücher und Zeitungen zu lesen. Der Gedanke, der dahintersteckt, lautet in etwa: Öffentlich-rechtliche Medien sind eine feine Sache, für die Weiterentwicklung von Kultur, Demokratie etc unerlässlich und man muss deshalb dafür sorgen, dass die „Finanzierungsbasis“ nicht wegbröckelt. Der Einzelne mit seinen einsamen Entscheidungen (und merkwürdigen Vorlieben!) kann sich da nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.
Das gilt im übrigen auch für ein Kultur-Medium bzw. eine Sozialisations-Instanz wie den Kindergarten, den manche am liebsten schon vom zweiten Lebensjahr in Vorschule (fürs Leben) umtaufen würden und dessen Besuch deshalb verpflichtend sein sollte. In einer totalen Gesellschaft, die weiß, was für den Einzelnen und für alle gut ist und die sich Gesetz für Gesetz und Veraltungsakt für Verwaltungsakt in mühsamen Schritten dem Endzustand des gemeinsamen Heils nähert, kann und darf es nicht entscheidend sein, was „die“ Eltern wollen (denn es geht ja um die Zukunft ihrer Kinder) und was den Kindern am besten gefällt (denn die sind ja noch unmündig und deren „Mündigkeit“ soll und muss erst ganztägig von Fachleuten hergestellt werden).
Und wenn die Kinder in der fremden Welt verloren gehen, in der bekanntlich das Böse lauert? Dann hilft das Handy an der reißfesten Kette um den Hals, das es mithilfe von GPS und demnächst Galileo erlaubt, den Aufenthaltsort der Kleinen Minute für Minute millimetergenau festzustellen. Was heißt der Kleinen? Auch die dementen Großeltern, die sich in ihrem Alzheimer-Wahn auf Abwege verirren, können zuverlässig überwacht und, im Fall des Falles, wiedergefunden werden. Und sogar den Ehepartner könnte man ... aber da gibt es noch persönlichkeitsrechtliche Bedenken. Vorläufig. Bis die erste Gattin klagt, dass sie ihre AIDS-Infektion hätte vermeiden können, wenn nur nicht Gesetzgeber und Behörden ...
Natürlich gibt es auch in einer durchmedialisierten totalen Gesellschaft, wo man jeden permanent „verorten“ kann, damit er auf dem Platz bleibt, der für ihn und uns der beste ist und nicht „verloren“ geht, Probleme. Wollte man Schulkindern nicht eben erst ihr Handy verbieten, damit sie sich nicht auf dem Pausenhof Pornos herunterladen? Wie kann man erreichen und garantieren, dass man sie im Blick behält, ohne dass sie selbst „alles“ sehen können? Nichts ist so heillos wie die Suche nach dem Heil.