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Do you really want to hurt me? Ferchows Fenstersturz zu musikalischem Strafvollzug

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Dass die amerikanische Justiz beim Strafmaß oft das Augenmaß verliert, wissen wir. Man stopft sich in zehn Jahren vier Tonnen Hamburger hinter die Kiemen und schüttet sich vierzig Hektoliter Milchshake in den Rachen. Mit 370 Kilo Lebendgewicht erkundigt man sich beim Anwalt, ob diese Kost tatsächlich ungesund sei. Und schon verklagt der Proband den Nahrungsmittelkonzern auf 600 Millionen Dollar Schadenersatz.

Utopisch, sicher. Und deshalb bekommt der Kläger auch nur 590 Millionen zugesprochen. Alternativ brechen Sie sich beim Öffnen der blickdichten Schutzhülle des „Hustler“ den Fingernagel ab. Gut gemacht. Immerhin 30 Millionen Dollar. Das hätte ebenso in die Hose gehen können.

Was aber sagt man zu diesem Strafmaß: Die amerikanische Gerichtsassistentin Karen Cade verdonnert jugendliche Ruhestörer zu Beschallung mit Barry Manilow-Songs. In Strafsitzungen müssen sie für das Schwerverbrechen des zu lauten Musikhörens büßen. Respekt vor so viel Grausamkeit. Aber Härte ist das nicht, zumal die vielleicht Verdächtigen in Guantanamo wochenlang einen 160-Dezibel-Death-Metal-Fön (teuflisch laut wie schnell gespielte Musik von Todes-affinen Menschen ohne Biografie und mit langen Haaren) genießen dürfen, bis sie die Koordinaten der Achse des Bösen erbrechen.

Leider ist unsere Gerichtsbarkeit barmherziger besaitet. Stichwort Kuscheljustiz. Wenn Murat und Stefan (Hauptschüler und von der ARGE mit fünf Euro pro Bewerbung subventioniert) den Tante-Emma-Laden in Kreuzberg zum dritten Mal platt gemacht haben, würde das deutsche Strafmaß in etwa so lauten: zweimonatige Internierung in Bayreuth auf kultureller Basis mit abschließendem Gemeinschaftserlebnis zur Stärkung der Sozialkompetenz. Im Klartext: Wagners Ring am Stück und bewacht vom künftigen Integrationsminister Söder anhören. Tolle Strafe. Im Grunde wäre Bayreuth an sich schon Strafe genug.

Besser machen es die Programmchefs der privaten TV-Anstalten, die beim musikalischen Strafmaß wenig schamhaft sind. Für unser lausiges Konsumverhalten 2008 (wir haben nur schäbige dreizehn Milliarden Euro für Klingeltöne ausgegeben) sanktionieren sie uns mit einem Hirten. Der röchelt widerliche Coverversionen von noch schlimmeren Originalen durch die Luftkanäle seines versifften Lutschknochens und hinterlässt eher die Diagnose einer chronischen Bronchitis denn ansatzweise einer musikalischen Darbietung. Ins gleiche Horn stößt der singende Schafsbauer Heinrich, der – mal unter uns – nicht so genau von seiner Herde zu unterschieden ist. „So a Schafsscheiß“ möchte man als Bayer gerne fluchen. Doch man verkneift es sich. Erstens war Landesvater Seehofer einst Agrarminister und zweitens haben die Musikrichter ein neues Strafmaß ankündigt: Til Schweiger gibt den Minnesänger in seinem aktuellen Film. Da wirkt die bisher unausgesprochene musikalische Todesstrafe wie ein Resozialisierungsversuch: Das neue U2 Album ist für Februar angedroht. Morituri te salutant. Oder uns.

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