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Du bist jung, und Pro7 braucht die Kohle

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Ferchows Fenstersturz 2013/06
Publikationsdatum
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Schön war‘s! Endlich hat es die Gartenzwerge erwischt. Vorbei die Schonfrist an Mamas Rockzipfel. Raus ins Leben, ihr kleinen Feiglinge. Und zwar bevor euch die Polente in Fußfesseln zur Schule fährt. Sprich: auf die Pro7 Bühne, einen Hit trällern, Karriere machen. Denn Kindheit ist für Verlierer. Die Ellbogen ausfahren und Gleichaltrige musikalisch niedermähen. Pro7 geht seine Kinderausscheidung zwar leider gewaltlos aber nicht unpädagogisch an. „The Voice Kids“ ließ mein Herz höher schlagen. Putzige Spatzen werden im Singkampf aufeinander losgelassen. Mindestanforderung: Ehrgeizige Mütter, überlastet vom Unterhaltskrieg mit den vier potenziellen Vätern der drei Blagen, schleifen das garantiert untalentierteste Kind ins Casting.

„Cheyenne-Chantal singt seit ihrem ersten Lebensjahr“, erklären die Mammis mit streng nach hinten gestriegeltem Pferdeschwanz. Dass man das Wimmern der Säuglinge zwischen zwei Flaschen Asbach-Cola schon mal mit Singen verwechseln kann: geschenkt. Prächtig, was Pro7 da sendet. Auch, weil offenbart wird, was in Deutschland zählt. Erstens: an Peinlichkeit grenzende Dummheit und zweitens: mangelnde Selbstreflexion. Ganz großartig und zu Punkt 1) erwähnenswert: Jurymitglied Lena Meyer-Landrut. Lebensleistung: Geburt, Abiturientin und Eurovisionssiegerin ohne Talent. Sie ist das größte aller Kinder bei Pro7. Im Wortschatz den Zehnjährigen unterlegen („Du bist so süß, ich könnte heulen“), modisch fies (Ommas Mottenkiste gemopst) und fachlich (weil siehe oben) überfordert. So bestückt hüpft sie – Ritalin vergessen – im Flummimodus durch das Studio, um jede noch so erbärmliche Sangesleistung penetrant zu feiern. Was mich zu Punkt 2 bringt. Herrlich, wie die wackligen, zittrigen und oft schmerzenden Vorträge der Minis schön geredet wurden. Statt ein Zuckowski-Liedchen zu trällern, darf es gerne Usher oder Rihanna sein. Klingt zwar wie zehn Bierkutscher auf Betriebsausflug aber hey: Du bist jung und Pro7 braucht die Quote. Also wird den zahnspangigen Geldfressern vermittelt: Du wirst zwar nie wie Rihanna singen, aber wenn es dir dein Umfeld noch fünf Jahre einbläut, kannst du deine eigene Dokusoap mit Harald Glööckler drehen.

Erhellend ebenfalls die Erkenntnis, dass das oft kritisierte deutsche Schulsystem funktioniert. Schulbefreiung für Casting, Probe und TV Show? Kein Problem. Englische wie deutsche Texte mit mehr als zwei Zeilen auswendig lernen? Kein Problem. Tja, liebe Eltern. Ihr Sprössling geht in die Grundschule oder den Kindergarten? Hat vier bis fünf Freunde? Geht einmal die Woche zum Fußballtraining, übt Ballettsprünge oder lernt Karate? Dann läuft etwas falsch bei Ihnen. Keine Castinganmeldung, kein Selbstbehauptungskurs, keine App, die die Termine Ihrer Kids verwaltet? Sie unterschätzen Ihr Kind maßlos. Den Vorwurf müssen Sie sich jetzt mal gefallen lassen. Schämen Sie sich. In Grund und Boden. Ihr Kind könnte die nächste Lena Meyer-Landrut sein. Nur Mut.

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