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Ein Sommerstreikstraum

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Morgen: Ein Tag wie jeder andere auch – die Sonne geht auf, die Vöglein zwitschern und unser kulturhungriges Volk schlägt die neue nmz auf. Doch etwas ist anders. Nach Jahrzehnten der Erniedrigungen und Kürzungen haben sich sämtliche Deutschen Tonsetzer Neuer Musik dazu entschlossen, in den Streik zu gehen. Keine innere Seelenschau mehr, keine Recherche nach der Stille zwischen den Tönen und kein Heischen nach der wankelmütigen Gunst des Feuilletons. Die Notenblätter bleiben leer.

Doch was ein monumentaler Knall des letzten Aufbegehrens sein sollte, endet als klägliches Wimmern – denn niemand merkt etwas. Niemand vermisst unsere geliebte Neue Musik! Denn die Tatsache, dass wir die Subszene (Neue Musik mit großem N) einer Subszene (moderne Musik) einer Subszene (klassische Musik) sind, geht damit einher, dass uns kaum noch einer kennt. Und was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen.

Natürlich ist solch eine Vorstellung rein hypothetisch und damit meine ich nicht die drohende Desintegration der Neue-Musik-Szene (die liegt leider im Bereich des Möglichen, wenn uns einer mal den Geldhahn abdreht), sondern die Vorstellung eines gemeinsam agierenden Streikkomitees: Nie und nimmer könnten sich auch nur zwei Komponisten für eine einzige Sekunde einig werden, sie schaffen es ja auch nicht im Deutschen Komponistenverband oder in der GEMA!

Zugegeben, ein Künstler als Lieferant rein schöngeistiger Leistungen ist nicht unbedingt jemand, der mit einer Streikdrohung überzeugen kann. Wessen Urlaub könnte man damit vermiesen wie ver.di? Aber liegt es allein daran, dass die Vorstellung von streikenden Neue-Musik-Komponisten so lächerlich ist? Schließlich war ja das, was wir heute als „klassische Musik“ bezeichnen, und als dessen stets zu Unrecht unverstandenes Wunderkind sich unsere Neue Musik gerne präsentiert, durchaus auch mal unersetzlich.

Ein organisierter Streik aller Kirchenkomponisten im 18. Jahrhundert wäre wahrgenommen worden, ebenso ein Arbeitsstopp aller Opernkomponisten im 19. Jahrhundert. Wohin man auch schaut in der Musikgeschichte: Es gab stets Berührungspunkte von Hochkultur und schlichtem Bedarf, ja sogar Dienstleistung, die etwa einem Bach oder einem Haydn künstlerisch in keiner Weise geschadet haben. Muss sich ein Mozart seiner Divertimenti schämen, ein Händel seiner Feuerwerksmusiken? Ganz sicher nicht.

Noch bemerkenswerter ist aber die Tatsache, dass ein Streik in anderen zeitgenössischen Künsten durchaus einen Effekt hätte. Würden heute alle modernen bildenden Künstler streiken – der Kunst- und Sammlermarkt bräche sofort zusammen. Streikten die Autoren zeitgenössischer Theaterstücke, fehlten sofort 50 Prozent des Theaterrepertoires. Streikten alle Romanautoren, käme die Buchindustrie, die vor allem vom Verkauf neuer Titel lebt, sofort zum Erliegen. Sie sind halt eben nicht Subszene einer Subszene, unsere zeitgenössischen Schreiberlinge, und im Bestsellerregal steht Ildiko von Kürthy einträchtig neben Elfriede Jelinek, ohne dass da ein großes „N“ albern dazwischen klebt. Die Glücklichen.

Wie wirkungsvoll ein Streik sein kann, zeigte jüngst derjenige der Drehbuchautoren in Hollywood. Nun ist ja dort nicht alles Kommerz und Quatsch, wie uns das hiesige Bildungsbürgertum gerne weismachen will. Autoren wie Alan Ball („Six Feet Under“) und David Chase („Die Sopranos“) reihten sich in die Streikenden ein und deren Arbeit kann man fraglos als intelligenter, ambitionierter und hintergründiger bezeichnen als alles, was das öffentlich-rechtliche Deutsche Fernsehen heute schamlos als „Erfüllung des Kulturauftrages“ bezeichnet.

Komponierte irgendjemand von uns noch anspruchsvolle Filmmusik, was früher so unterschiedliche Komponisten wie Eisler, Britten oder Schostakowitsch locker nebenbei hinkriegten, das Streiken von E-Komponisten fiele dem einen oder anderen durchaus auf. Aber die Vorstellung, dass zum Beispiel ein Wolfgang Rihm eine Filmmusik für Tom Tykwer schriebe, ist dermaßen absurd, dass man es sich schon fast heiß und innig herbeiwünschte. Das liegt übrigens nicht nur daran, dass Tykwer ihn leider gar nicht erst fragen würde, sondern auch daran, dass unsere eingefahrene Ästhetik der Verweigerung sich meistens nicht mehr wirklich dafür anbietet, in einem Film verwendet zu werden. Der durchschnittliche Kinobesucher schafft es halt im Dunkeln nicht, nebenher seitenlange erklärende Stückeinführungen zu lesen.

Wir haben uns nicht nur diesen, sondern auch vielen anderen möglichen Mitteln zu größerer Publikumsansprache entzogen. Wir sind Meister einer Verfeinerung geworden, für die es nie einen echten Bedarf gab, außer dem unserer eigenen Eitelkeit. So skrupulös und langsam sind wir nun, dass wir schon lange nicht mehr zu aktuellen Themen als Medium befragt werden. Während ein Arlo Guthrie und Bob Dylan in den 70er-Jahren (Adornos Meckern überhörend) starke Lieder gegen den Vietnamkrieg schrieben, die diesen zwar nicht alleine stoppten, aber immerhin eine einflussreiche kulturelle Gegenbewegung mitgestalteten, wo waren da wir E-Komponisten, trotz politisch Aktiven wie Nono und Henze? Schon auf dem Weg zu den „Nacht“- und „Fragment“-Stücken mit den drei Punkten vorne und hinten, auf dem Weg in die innere Emigration, die zwar irgendwie ein subversiver Akt gegen die Gängelung einer ominösen Gleichschaltung sein soll (die angeblich immer dann droht, wenn man sich verständlich ausdrückt), sich dabei aber auch der Realität so entzieht, dass diese uns nicht mehr als relevant wahrnimmt.

Wenn man es also genau nimmt, sind wir schon längst im Streik – in einem schon Jahrzehnte lang andauernden armseligen Streik der Verständlichkeitsverweigerung, der ohne die geringste Wirkung auf die uns umgebende Gesellschaft blieb. Die wirksamen Kommentare zur Zeitästhetik haben wir den Anderen überlassen: den Filmemachern, den bildenden Künstlern, den Schriftstellern. Die blieben im Gedächtnis, wir nicht.

Wo sind also die Streikbrecher, wenn man sie wirklich braucht?

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