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Einige Anmerkungen eines Lesers zur Orgel

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„Wege aus der Vereinnahmung eines Instrumentes“ von Margareth Tumler, nmz 5/2013, Seite 28
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1. Cameron Carpenter: Der gute alte Virgil Fox, als dessen Nachfolger Carpenter apostrophiert wird, war immerhin in der Lage, die Pedalsoli in der F-Dur-Toccata ohne fehlende Noten zu spielen. Ob man Bach dadurch „aktualisiert“ oder der „sakralen Vereinnahmung“ entzieht, dass man Oktavsprünge im Pedal mit kurzen Vorschlägen versieht und den Notentext völlig frei bearbeitet, mag auf den ersten schreckensbleichen Blick nach einer ernsthaften Frage aussehen. Carpenter ist für jenen leider großen Teil des Publikums, dem es um optische Effekte und/oder besonders schnelle Tempi geht, eine gute Sache. Mit Orgelspiel, wie es wir alle hier – bei aller vernünftige Meinungsvielfalt – verstehen, hat das nichts zu tun.

2. Der Kirchenraum nimmt Einfluss auf Rahmenbedingungen und Pädagogik: Ach, wenn‘s nur so wäre! Viele spielen ja Orgelmusik, als ob sie ein Klavier vor sich hätten und als ob nicht 80 Prozent dieser Musik für große Räume geschrieben wäre.

3. IGP wird selten unabhängig vom Kirchenmusikstudium gewählt: Das hat materielle Gründe, die jedem einleuchten müssten. In Österreich kann nur ein kleiner Teil der Absolventen des Kirchenmusikstudiums ausschließlich von der Kirchenmusik leben; die Ergänzung mit IGP ist höchst sinnvoll. Umgekehrt wird so mancher, der an der Musikschule Hintermoos für acht Stunden Orgelunterricht angestellt ist, gerne zusätzlich an einer Kirche arbeiten und/oder aus diesem Bereich angesprochen werden. Die Vorstellung, es gäbe idealerweise völlig getrennte Berufsbilder beziehungsweise Organisten, die jeweils nur das eine ausüben, ist anlässlich der Institutsgründungen erschöpfend diskutiert und, außer anscheinend in Salzburg, verworfen worden.

4. Sogar wo Orgel als Musikschulfach angeboten wird, ist das liturgische Orgelspiel ein verpflichtend zu erreichendes Lernziel, womit ein religiöses Bekenntnis zur Voraussetzung für das Erlernen eines Instrumentes erhoben wird: Um am Ende zu beginnen - das trifft keineswegs zu. Liturgisches Orgelspiel ist eine spezielle Fertigkeit für ein ganz bestimmtes (und quantitativ hervorstechendes) Teilgebiet der Berufsausübung. Ob man Katholik, Lutheraner oder Agnostiker ist, hat mit dieser Fertigkeit nichts zu tun – weder mit dem offiziell eingetragenen Bekenntnis noch mit der persönlichen Einstellung. Und dass die Aneignung dieser Fertigkeit Teil der Ausbildung ist, sollte einleuchten, siehe oben Punkt 3: der angehende Lernwillige mag sich noch so sehr vornehmen, dass es um die Orgel und nicht um die Kirche geht – er wird entweder in einer Kirche üben wollen und dann um gelegentliche oder ständige Dienste gefragt werden. Oder er wird sich eine Orgelstelle suchen, um ein Instrument zu haben. Oder er wird (und das trifft man häufig an in Österreich) seinerseits unterrichten und das liturgische Orgelspiel weglassen (nicht gut!) oder es unterrichten, ohne es selbst gelernt zu haben (gar nicht gut!). Um diese Gedankengänge nachzuvollziehen, muss man sich allerdings von der Vorstellung verabschieden, dass liturgisches Orgelspiel im korrekten Abspielen eines vierstimmigen Satzes besteht. Die darüber hinausgehenden 80 Prozent sind es, die das L.O. zu einer eigenen Fertigkeit machen, die zu beherrschen Konzertorganisten und IGP-Absolventen zugemutet werden sollte. All das gilt für den „germanischen“ Teil der Welt; Italiener, Franzosen oder Spanier haben ein völlig anderes Konzept des Gemeindegesanges.

5. Digitalorgel: Der Diskurs wird auch in noch so vielen Artikeln und Tagungen nicht beendet werden können, denn es dreht sich um Werthaltungen und nicht um Beweisbares. Nur eine Bitte: dass die Digitalspieler die Modernen sind und die Pfeifenspieler die Unbeweglichen und die Beharrer – könnte man auf dieses allzu einfach gestrickte Klischeé verzichten?  Der von Prof. Günther Rost verwendete Ausdruck „Simulator“ ist nach langer Zeit endlich wieder ein neuer Ansatz, anhand dessen man sich weiter tasten könnte. – Schließlich: Inwiefern eine nachhaltige Förderung des Nachwuchses auf digitalem Weg so viel besser gelingen könnte, kann ich nicht nachvollziehen.

PS. Die Orgel aus dem Umfeld des Sakralen herausholen: ja gerne. Aber man wird ein paar Chiffren des Christlichen verstehen müssen, um so manches Stück adäquat zu deuten – und da sind heute bereits mancherorts vermehrt Defizite zu spüren. Herausholen aus dem Umfeld des Kirchenraumes: für einen großen Teil der Literatur bitte nicht, denn von dort kommt diese Musik her und dort klingt sie verständlich. Bruhns, Praeludium e-Moll ohne die Akustik des Kirchenraumes? Also bitte Vorsicht.

Peter Planyavsky, Wien

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