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Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch
Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch
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Emotionalität aus der Steckdose

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Absolute Beginners 2023/05
Publikationsdatum
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Das Thema KI-Komposition ist auch bei meinen Studierenden sehr präsent. Kein Wunder: Mit dem Aufkommen von KI-Kompositionen (die schon jetzt im Bereich Filmmusik und Werbemusik eine echte Konkurrenz für lebende Komponierende darstellen) sind sowohl neue Chancen als auch Gefahren verbunden. Noch mehr als zuvor stellt sich jetzt dezidiert die Frage, wie man als Freischaffende/r im Bereich der Komposition überleben können wird.

Oder sehen wir zu schwarz? Werden Menschen schnell der KI-Kompositionen überdrüssig werden, da sie – genau wie ChatGPT auch – vor allem gut im Replizieren von schon existierenden Ideen sind, nicht aber in der Neuerfindung? Werden wir uns nach „fehlerhaften“ menschlichen Kompositionen sehnen?

Ein Wort, das immer wieder durch die Diskussion geistert, ist das der „Emotionalität“ von Musik. Ich kenne viele, die bezweifeln, dass Algorithmen in der Lage sein könnten, Emotionen zu „erzeugen“ (also imstande sind, emotionale Musik zu komponieren). Nun gibt es zwei Arten von Emotionen in der Musik: diejenigen, die beim Erfinden von Musik entstehen oder intendiert sind, und diejenigen, die bei den Hörenden ankommen. Letztere sind die, die eine Musik erst wirklich „emotional“ machen, und dies bei unterschiedlichen Hörenden auf sehr unterschiedliche Weise.

Für einen Fan volkstümlicher Musik mag das Anhören eines Lieds der Wildecker Herzbuben wohlige heimatliche Gefühle auslösen, für die meisten anderen dürfte es eher eine Art Folter sein. Aber immerhin: Schmerz und Qual sind auch „Emotionen“.

Ob man Musik als „emotional“ empfindet, hängt sehr stark von der eigenen Geschichte und den eigenen prägenden Erinnerungen ab. Die Töne im Adagio aus Mahlers fünfter Symphonie sind nicht per se „emotional“, es sind erst einmal einfach nur Töne. Für einen europäisch geprägten Klassikhörer tun sich bei diesem Stück allerdings innere Welten auf, die voller Emotionen sind: das süße Zelebrieren einer zunehmend zersetzten und spätromantischen Tonalität, fin-de-siecle-Stimmung, diffuse Erinnerungsbilder aus „Tod in Venedig“ sowie Mahlers teilweise tragisches Schicksal – all dies ergibt eine komplexe Melange, die in unserem Inneren der Musik ein enormes Gewicht gibt und uns zutiefst anrührt.

Spielt man dieselbe Musik dagegen einem Ureinwohner des Regenwaldes vor, der noch nie irgendeine europäische Musik gehört hat, dürfte die Musik bestenfalls „interessant“ klingen, aber keinesfalls so emotional wie für uns. Ihm/ihr fehlen die Assoziationen, die wir mit der Musik verbinden.

Wir sollten aber nicht hoffen, dass eine KI diese Art von Emotionalität nie erzeugen können wird. Schließlich kann man die KI so lange mit dem Gesamtwerk von Mahler füttern, bis sie endlose Kopien davon herstellen kann. Und diese werden ziemlich ähnlich wie Mahler klingen und oberflächlich ähnliche Emotionen auslösen. Mit den narrativen Assoziationen wird sich die KI allerdings schwer tun. Sie hat nie gelebt, also kann sie nichts willentlich erzählen. Ihre Musik wurde (noch) nicht in einem Film perfekt eingesetzt, den sehr viele Menschen kennen.

Mahler hat seine eigenen Leidenschaften, Obsessionen und Sehnsüchte in die Komposition einfließen lassen. Das Stück ist also nicht nur ein abstraktes Stück Musik, es erzählt auch viel über den Komponisten Mahler: wie er dachte, wie er fühlte. Wir interessieren uns nicht nur für sein Adagio, wir interessieren uns auch für ihn. Und das schwingt im Hörerlebnis mit.

Und das ist vielleicht die Hoffnung für die Komponierenden der Zukunft – solange sie in der Lage sind, nicht nur interessante Geschichten mit ihrer Musik zu erzählen, sondern auch interessante Persönlichkeiten sind, werden sie eine Chance gegen die KIs haben. Zumindest solange, bis auch die KIs interessante Persönlichkeiten sind.

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