[Vorabdruck aus der aktuellen nmz 2013/12-2014/01] Reis’ ich durch Deutschland – Tag und Nacht – werd ich ums Vorurteil gebracht: Als Oberjammerlappen-Reporter in Sachen kultureller, musikalischer Bildung von Verbänden, Bündnissen, Stiftungen immer wieder gern zu Kongressen und Best-Practice-Meetings eingeladen, stoße ich unablässig auf blühende Musiklandschaften: Orchester, die im Rahmen ihrer Education-Aktivitäten neben jedem Profi eine/-n Schüler/-in sitzen haben und wunderbare Dreißig-Minuten-Vormittags-Barockkonzerte für junge Eltern samt Pampers-Verleih veranstalten. Öffentlich-rechtliche Sender, die ganze Kinder-Redaktionen samt technischem Equipment über Land schicken, um Hörerbindung zu betreiben. Schul- oder Kirchenchor-Konzerte werden mitgeschnitten und als CD-Gimmicks verteilt (leider aber zumeist nicht gesendet).
Soeben vergab das „netzwerk junge ohren“ in Leipzig feine Preise an wirklich fantasievolle Musikvermittlungs-Projekte. In der Region Nürnberg kooperieren private Stiftungen, Hochschulen und Kommunen beim Verorten musikalischer Bildung in Kindergärten und Schulen. Mit „MUBIKIN“ und „klasse.im.puls“ tragen zivilgesellschaftliche Kräfte maßgeblich dazu bei, den aus dem Fächerkanon allgemeinbildender Schulen wegschmelzenden Musikunterricht qualitätvoll zu ergänzen oder gar überhaupt zu ermöglichen.
Was – von der Politik als Projekt finanziell ordentlich gefördert – mit „Jedem Kind sein Instrument“ in Nordrhein-Westfalen kurze Breitenwirkung zeigte, mit Initiativen wie „Jedem Kind seine Stimme“, den „Carusos“ und bundesweit zahlreichen ähnlichen, oft konkurrierenden Aktionen Vertiefung und Verfeinerung fand, nimmt sich im Einzelfall als wunderbare Blüte aus, ist mit Blick auf den Zustand unserer Bildungslandschaft aber nur der berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein. Es bleibt die Diagnose: Solange in unserem Land Kultur- und Bildungspolitik im Kleingeist angeblich ökonomisch überschaubarer Projektitis erstickt, der Kultur, den Künsten in den allgemeinbildenden Schulen die Atemluft genommen wird, besteht keine Hoffnung auf Entwicklung einer humanen Gesellschaft. Die MINT-programmierten Werkzeugkästen kommender Generationen zur Bewältigung allfälliger anstehender Probleme bleiben in wesentlichen Fächern buchstäblich leer. Denk ich an Deutschland in der Nacht, säh ich am nächsten Tag gern folgenden Traum realisiert:
„Bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen ist es in Sachen Energiewende zwischen Peter Altmaier (CDU) und Hannelore Kraft (SPD) zu einer überraschenden Übereinkunft gekommen. Da nachweislich weder Ingenieure, Physiker, Mathematiker, geschweige denn Betriebswirtschaftler Substanzielles zur Lösung der allgegenwärtigen Krisen beitragen, werden die zur Verfügung stehenden Milliarden in die für Bildung zuständigen Ministerien auf Bundes- und Landesebene transferiert. Sie kommen der Förderung kultureller, speziell musikalischer schulischer Bildung zugute. ‚Hochspezialisierte einseitige Schmaldenker und Rechenfüchse helfen uns erfahrungsgemäß nicht mehr weiter. Für die Zukunftsgestaltung brauchen wir vielseitig gebildete kreative, teamfähige Köpfe. Das bringt die wahre Energiewende in unsere marode Gesellschaft‘ – so die Unterhändler in harmonischem Wechselgesang?…“