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Ferchows Fenstersturz 2012/10

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Kein lauter Land
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Es war doch alles so romantisch. Konzertkarte an der einzigen Vorverkaufsstelle des Bundeslandes mit Euroschecks kaufen. Zerrissene Jeans und nach Zehenkäse riechende Doc Martins überstreifen. Das bärbeißige und mittlerweile zum BMI-Indikator umfunktionierte „Guns ’n Roses“-Shirt der „Use your illusion“-Tour auftragen. Alles ungewaschen wie ungeduscht. Auf dem Weg zum Konzert zwei Six-Packs stülpen, im Konzert drei und auf dem Heimweg vier Absacker an der Tanke heben. Dazwischen ein Päckchen Zigaretten (wahlweise ein Kilo Gras) liquidieren. Den viskösen Hirnsaft im Mosh-pit vor der Bühne schütteln.

Von den Bühnenordnern vermöbelt werden. Beim Crowd-Surfing Busen angrapschen und dafür von der Besitzerin (oder deren one-night-stand) eine gebürstet bekommen. Und am nächsten Morgen für sieben Tage einen Tinnitus in den Lauschern, der das Weißblechstanzen in ein barockes Singspiel verhexte. Man nannte das Konzertbesuch, liebe Kinder. Diese Poesie ist tot. Konzertkarten werden heute am iPhone gezogen, zu Hause ausgedruckt und sind nur gegen Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses – ersatzweise einer eidesstattlichen Erklärung – zu bekommen. Personalisierung als Prävention. Die neue Gewalt sät. Erstens, wenn der iPhone-Akku leer ist und der Barcode nicht eingelesen werden kann. Zweitens, wenn der Scanner den mit Lidl-Nachfülltinte getränkten Ticketausdruck nicht lesen kann.

Da kann man dann schon mal den Ticket-Scanner ins Aus treten. Was zu Handgreiflichkeiten mit der humorlosen Security führt, der die Personalisierung egal ist. Weil LRS oder osteuropäischer Herkunft. Und dabei hat man noch gar kein Bierchen gezischt. Erstens, weil das an bayerischen Tankstellen nur noch an Autofahrer, nicht mehr an Fußgänger (Ausnahmen: Otto Wiesheu, Margot Käßmann, David Hasselhoff), verkauft wird. Zweitens, weil in den Hallen nur noch bleifreie Plörre vertickt wird (Ausnahme: Alkopops für Minderjährige an der Dönerbude vor der Halle). Und nun klauen sie uns noch den Sound. Die Kölner Band „Erdmöbel“ spielte ein Konzert, das die Zuhörer mit Kopfhörern und auf Plasma-Bildschirmen verfolgen konnten. Natürlich in Köln. Wie mimosenhaft ist das denn bitte? Wahrscheinlich noch mit Kopfhörern ohne Bügel, damit der geföhnte Krautkopf in Form bleibt. Dazu wurden zweifellos Aperol Spritz und Canapés vom sudanesischen Zuchtochsen gereicht, dessen Bauchfleisch von deutschen Auswanderern (siehe VOX, RTL 2) vier Jahre lang massiert wurde.

Fragt sich, wie die das mit den Bildschirmen gelöst haben? Wurden die den Konzertbesuchern (besser Lebenszentrum-Freigängern) um den Hals gehängt? So wie die breiten „Lillifee“-Kindergeldbörsen mit Reißverschluss. Oder wurden die vor einen Plüschsessel, handüberzogen vom chinesischen Seidenspinner, postiert, damit die Armani-Jeans in Form bleibt? Ach so. Busengrabschen ist dann auch nicht mehr. Weil der Bildschirm vor den Möpsen baumelt. Wie passend, dass „Erdmöbel“ das Genre versenken.

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