Es gibt Tage, da stehe ich morgens auf und denke: „Uiuiui, das wird heute ein rechter Scheißtag.“ Dieses Schicksal liegt wie ein Geruch in der Luft. Man kann es zwar nicht mit den Fingern greifen, aber wenn diese Finger dann einen Schnürsenkel zum Reißen bringen oder in der Küche die Milchtüte umkippt und ich fluchend die ganze Sauerei wegmachen muss, dann weiß ich mit absoluter Sicherheit: „Uiuiui, das wird heute ein rechter Scheißtag.“ Viele, viele Jahre habe ich gebraucht um herauszubekommen, wie man sich durch solch einen fiesen Tag schlängeln muss, um abends unbeschadet im Bette zu landen und sagen zu können: Siehste, Redunzl, hat doch wieder funktioniert. Für mich gibt es nur einen einzigen therapeutischen Ansatz für dieses Phänomen, und der heißt zumindest bei mir Konsum. Ich rede hier allerdings nicht vom völlig unspektakulären Besuch eines Supermarktes oder vom Besohlen eines Paares Schuhe durch den türkischen Schuhmacher, der komischerweise immer Mr. Minit heißt. Das funktioniert nicht. Ich rede von Aktionen, deren Investitionsvolumen die Leute, die am Geldautomat hinter mir stehen, vor Neid erblassen lässt. Will sagen, deren Investitionsvolumen meinen Kontostand auf eine harte Probe stellt. Das ist die erste Bedingung der Therapie. Die zweite betrifft die Verfügbarkeit des Investitionsziels, denn die muss völlig im Dunklen liegen.
Als mich das letzte Mal so ein Schnürsenkel- und Milchtüten-Tag in seinen erbarmungslosen Klauen hatte, holte ich zu einem Schlag aus, von dem sich dieses widerliche Phänomen bis heute noch nicht erholt hat. Aufmüpfig spuckte ich dem Tag die folgenden Worte in seine widerliche Fratze: So, Freundchen. Heute kaufe ich mir einen neuen Plattenspieler. Im Fundament unseres Hauses verspürte ich in diesem Moment ein ganz deutliches, wenn auch nur leichtes Zittern. Haben Sie, werter Leser, in Zeiten von MP3-Playern und HDTV-Fernsehen schon mal versucht einen Plattenspieler zu kaufen? Aber bitte nicht solche Bettnässer-Aktionen wie „Über das Internet bestellen“, sondern mit Bargeld das Haus verlassen, selbstbewusst einen geeigneten Laden betreten, Plattenspieler aussuchen, Plattenspieler bezahlen, Plattenspieler haben, Haus ohne Bargeld wieder betreten. Vor meinem geistigen Auge wanderte ich durch diverse Läden, doch die anschließende telefonische und internetsche Suche blieb erfolglos. Bei der „Kaufen! Marsch, Marsch!-Marktkette“ hatte ich gar einen jungen Mann aus den neuen Bundesländern an der Strippe, der offensichtlich nicht einmal wusste, was ein Plattenspieler ist. In unserer Landeshauptstadt würde es bestimmt ein oder zwei Läden geben, in denen man Plattenspieler bekommt. Allerdings nur im Gegenwert mehrerer Monatsgehälter. Solche Läden heißen sehr gern „Die Rille“ oder raffiniert zweideutig „33–45“.
Doch so was kann ich mir Gott sei Dank nicht leisten und wer fährt schon freiwillig nach Stuttgart? Aber ehrlich. Ich begann, wenn auch angestrengt, logisch zu denken: Wer braucht heute noch Plattenspieler? Na klar – Diskjockeys. Diehtschees. Und wo kaufen Diehtschees ihre Plattenspieler, ihr Equipment? Und bei dem Wort Equipment schnackselte es bei mir: Plattenspieler gibt es beim Professional-Music-Equipment-Händler. Und nur circa vier Kilometer Luftlinie von meinem Haus entfernt gibt es einen Professional-Music-Equipment-Händler. Kurze Zeit später war ich stolzer Besitzer eines funkelnagelneuen STANTON T.60. Ein sehr hipper und stylischer Plattenspieler (passt also zu mir), ohne Automatik-Schnickschnack, aber mit erstaunlich niedrigem Preis.
Um diesem Schnürsenkel- und Milchtüten-Bastardtag den Rest zu geben, kamen für die Einweihung meines schnuckeligen STANTON nur eine einzige Schallplatte und ein einziges Lied in Frage. Als das Intro dieses ersten Songs auf der A-Seite mit voller Lautstärke ertönte, spürte ich wieder das Zittern und Ächzen in den Wänden und wusste „Jaaaaaaa, ich habe gesiegt“. Die Platte war übrigens Beggars Banquet von den Rolling Stones. Wie das Lied heißt?
Na, das sollte man als nmz-Leser aber wissen.