Frau Genz geht gerne ins Theater. So auch dieses Wochenende. Um Geld zu sparen, hat sie sich vor Kurzem eine Theatercard zugelegt. Damit spart sie, wenn sie innerhalb eines Jahres dreimal in eine Vorstellung der Kategorie A geht, 20 Prozent des Kaufpreises einer weiteren Karte, wenn sie diese (2 Wochen im Voraus) in Kombination mit einer Begleitkarte, die nicht über 30 Euro kostet, online bucht. Und das Beste: Die Karte kostet sie keinen Cent.
Frau Genz würde nie uninformiert eine Inszenierung besuchen. Letzte Woche quoll ihr Schreibtisch jedoch über vor Arbeit. Sie fand einfach keine Zeit, sich kundig zu machen. Was soll’s, dachte sie sich, ruf’ ich doch einfach mal im Theater an.
„Bin ich mit dem Theater verbunden?“
„Hallo Frau Genz! Ja, genau. Wie geht’s Ihnen denn?“
„Gut, danke.“
„Und Axel und Anne? Wie läuft’s in der Schule?“
„Bestens. Danke der Nachfrage, sind jetzt in der 4. Klasse.“
Tippgeräusche. Gemurmel: „Vieerrrteeee Klasse.“
„Ich habe eine Frage zu…“
„1984 von George Orwell am Samstag?“
„Ja, genau, woher wussten Sie das?“
„Nur geraten, haha.“
„Ja, also: Könnten Sie mir kurz erklären, um was es geht?“
„Natürlich. Sie haben doch Letztens unsere Streitschrift über ‚Totalitäre Überwachung und Theater‘ im Theatershop gekauft.“
„Ach ja, stimmt. War ziemlich teuer…“
Tippgeräusche.
„Das ist quasi das Thema des Stückes. Es geht um eine dystopische Zukunft, in dem ein Überwachungsstaat unsere Privatsphäre zerstört.“
„Das klingt ja schrecklich!“
„Total gespenstisch! Stellen Sie sich das mal vor!“
„Und ist die Inszenierung eher modern?“
„Nein, eher klassisch. So, wie Sie es mögen.“
„Gut. Ich freue mich schon sehr auf Sonntag. Ähm Samstag.“
Tippgeräusche.
„Kennen Sie schon unsere neue App? Damit können Sie Ihren Kalender mit unseren Vorstellungsterminen verknüpfen. Natürlich auch mit Ihrem Facebook-Account. Dann wissen Sie immer, ob Sie Zeit haben, um ins Theater zu gehen. Wenn Sie dann online über unsere App zahlen, bekommen Sie einen Gutschein für einen prickelnden Sekt in der Pause …“
Klickgeräusche.
„Halbtrocken. Für einen halbtrockenen Sekt.“
„Herrlich! Den hab ich am liebsten.“
„Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?“
„Eine Frage hätte ich noch: In Ihrer Streitschrift schreiben Sie, dass Theater die Aufgabe hat, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Außerdem geht es darum, dass durch ‚Big Data‘ der Mensch zu einem ‚gläsernen Menschen‘ wird, der von Unternehmen durchschaut werden kann.“
„Ein toller Artikel unseres Regisseurs, meinen Sie nicht auch?“
„Ja, ich frage mich nur: Wie soll ein Theater einer gläsernen Gesellschaft noch den Spiegel vorhalten?“