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Fremdsprachenunterricht Musik

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Zum Leserbrief von Jürgen Vogt, nmz 2/00, S. 10
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Ich sähe nun die Haupt- und Generalaufgabe von Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen darin, das Hören zu schulen, das heißt „fremde Sprachen zu lehren“, oder etwas konkreter: den Schülern einen Zugang (auch) zu klassischer Musik zu öffnen! Leider scheinen mir die Musiklehrer darin gnadenlos zu scheitern, beziehungsweise ihre Aufgaben in ganz anderen Gebieten zu suchen, Gebieten, die sie selbst ausgiebig in ihrem Studium behandeln mussten. So gibt es heute wie auch zu meiner Schulzeit immer wieder die überaus komische Situation, dass Notation und Regeln einer Kunst (= Sprache) gelehrt werden, Schüler deren grammatikalische Strukturen in Tonika, Perioden et cetera analysieren sollen, Strukturen freilich einer Sprache, die den Schülern(!) ebenso fremd ist wie das Nihongo.

So falsch, meine ich, liegen Herr Geißler und Herr Naumann vielleicht doch nicht ganz, denn klassische Musik ist, wenn wir sie denn als „Ware“ betrachten wollen, dann eine Ware, die heutzutage eine intensive Schulung des Nutzers voraussetzt. War nämlich das, was wir heute „klassische Musik“ nennen, ehemals musikalische Alltagssprache, so hat sich inzwischen das Idiom soweit verändert, dass ein Komponist wie beispielsweise Mozart für die Mehrzahl der Menschen tatsächlich eine fremde Sprache spricht. Ich sähe nun die Haupt- und Generalaufgabe von Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen darin, das Hören zu schulen, das heißt „fremde Sprachen zu lehren“, oder etwas konkreter: den Schülern einen Zugang (auch) zu klassischer Musik zu öffnen! Leider scheinen mir die Musiklehrer darin gnadenlos zu scheitern, beziehungsweise ihre Aufgaben in ganz anderen Gebieten zu suchen, Gebieten, die sie selbst ausgiebig in ihrem Studium behandeln mussten. So gibt es heute wie auch zu meiner Schulzeit immer wieder die überaus komische Situation, dass Notation und Regeln einer Kunst (= Sprache) gelehrt werden, Schüler deren grammatikalische Strukturen in Tonika, Perioden et cetera analysieren sollen, Strukturen freilich einer Sprache, die den Schülern(!) ebenso fremd ist wie das Nihongo. Verstärkt hat diese Fehlleitung der Lehrziele vielleicht auch ein gewisser Kulturchauvinismus mancher Schulmusiker, die auch heute noch oft in dem Glauben leben, die eigene musikalische Heimat und Sprache, eben bevorzugt die klassische Musik, seien die einzig ehrenwerten Arten von Klangorganisation.

Wenn sich das Desinteresse von Schülern am traditionellen Konzertbetrieb also tatsächlich mit mangelnder Schulung erklären ließe und in meiner Arbeit als Musiker und Lehrer tatsächlich machen lässt, so bleibt Ihre berechtigte Frage, ob denn dieser Aufwand neben den rein materiellen Kosten für Konzert- und Opernbetrieb tatsächlich zu treiben sei. Und so sehr ich einerseits Ihre von sozialem Engagement getragenen Vorschläge für berechtigt halte, so sehr plädiere ich doch andererseits dafür, die Schulzeit zu nutzen, dem Menschen Einblicke in die große Welt zu gewähren.

Machen wir uns nichts vor: die Grundlagen für die spätere berufsbezogene Ausbildung ließen sich mit sehr viel geringerem Aufwand an Zeit als bisher legen, das, was ich in den zwei Jahren Oberstufe im Leistungskurs Mathematik behandelte, war im Studium binnen zweier Monate abgehandelt. Wenn wir uns aber den Luxus einer nicht ausschließlich berufszentrierten Schulzeit leisten, lässt sie sich meines Empfindens nur rechtfertigen, indem den Menschen Freiheit mittels Bildung vermittelt wird. Ermöglicht doch erst das Wissen um Alternativen eine Wahl der Entscheidung.

Und die Schule müsste ihren Zöglingen einen ordnenden Einblick in die immer größer werdende Welt unserer Kultur geben unter der Prämisse, ob nicht für den Einzelnen hier Möglichkeiten zur Bereicherung der Persönlichkeit und des individuellen Erlebens bestehen. Wenn nicht schon im Elternhaus geschehen – wo sonst noch als in der Schule ergibt sich im Lebenslauf eines Menschen diese Gelegenheit, außerhalb des eigenen Fachbereichs unter sachkundiger Führung ein Stück Welt zu erkunden? Was der Einzelne dann daraus macht, ob klassische Musik tatsächlich eine Bereicherung für ihn darstellt, darf jeder für sich entscheiden, aber die Schule sollte die Möglichkeit dazu eröffnen. Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen an die moderne Schulmusik der Herren Geißler wie Naumann wenn schon nicht in der Herleitung, so doch im Resultat, vielleicht nicht gänzlich verkehrt.

Weiter so, es muss sich schleunigst vieles ändern, im Interesse der Menschen wie auch im Interesse der Sache der Musik!

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