Die Kunst und die Künste verlieren immer mehr ihre Form als Ware. Sie werden immer weniger Ware, weil sie immer weniger Form sind. Denn die Kunst und die Künste sind pure Vehikel geworden, nur eine Zwischenstation in den innergesellschaftlichen Handelsbeziehungen – und das sind die einzigen, die zählen. In der Kulturpolitik nennt man das schlicht und einfach „Umwegrentabilität“. Die Motivation zum Bau von Konzerthäusern ist nicht im Interesse an Konzerten begründet, sondern in der Beschaffung von Arbeitsplätzen in der Bauindustrie und Politik (siehe Hamburg).
Ebenso ist es beim Musikunterricht. Der zielt längst nicht mehr auf Musik ab, sondern auf die Bildung von so genannten Schlüsselqualifikationen – ersatzweise auch Urheberrechts-Bewusstsein. Das ist natürlich alles legitim. Musikvermittlung wird bald allein in der Funktion der Durchvermittlung von Musik aufgehen, sie wird komplett als Mittel herabgestuft. Man hat sich längst schon daran gewöhnt, bevor man es praktiziert.
Letztes Beispiel: Deutscher Musikautorenpreis. Musikautoren sind hier nur insofern von Interesse, als sie prominent sind – die Musik ist reine Begleitung zu einer Lichtspielszene. Egal ist in dieser Situation auch das, was aus dem Bereich der Neuen Musik an Neuer Musik herüberwächst, denn die klingt vor Ort immer gleich – und das übrigens seit Jahrzehnten. Der Unterschied: Heute fühlt man sich mit der Schlagerschleimsoße solidarisch. Zu Recht, denn sie ist die künstlerische Form der Umwegrentabilität der Neuen Musik, die ohne den musikalischen Gesellschaftskleber längst verarmt wäre. So ernähren die Autoren der Musik von „Tokio Hotel“ auch noch Carola Bauckholt, Rebecca Saunders und Johannes Kreidler. Zumindest mit. Summa: Die einzige und einzig freie Kunst, die es heute gibt, ist diejenige, die es nicht mehr gibt.