„Jetzt sind die Arschlöcher ’gangen, und jetzt spiel’ i Mozart“, soll er während eines Konzerts in Salzburg beim Wiederauftritt nach der Pause ins Mikrofon gesagt haben, zur Freude der dagebliebenen, zumeist jugendlichen Zuhörer, die nun genau so begeistert dem Mozart lauschten, wie sie zuvor dem Jazz gelauscht hatten. Der vor zehn Jahren verstorbene Friedrich Gulda empfand sein Leben lang eine herzliche Antipathie gegenüber dem verknöcherten Klassikpublikum, das in ihm nur den prominenten Markenartikel erblickte, für dessen Konsum man gerne etwas mehr bezahlte und zum Zeichen der Exklusivität sich dann auch eine Perlenkette um den Hals hing und in den Smoking stürzte. Und je länger diese Mésalliance dauerte, desto mehr setzte er sich von den überkommenen Konzert-ritualen ab, suchte sich neue, unvoreingenommene Zuhörerinnen und Zuhörer und spielte seine eigenen Konzertprogramme, die zwischen Klassik, Jazz und Free Music locker eine Brücke schlugen.
Was gerne als Erfindung medienschlauer und geschäftstüchtiger Avantgardisten hingestellt und mit dem Marketingbegriff des „Crossover“ etikettiert wird, praktizierte Gulda seit den siebziger Jahren immer erfolgreicher – allerdings nicht als musikalischer Geschäftsmann, sondern als feuriger, von der Liebe zur Musik getriebener Idealist und als Künstler, der für eine neue Praxis und ein neues musikalisches Bewusstsein kämpfte.
Er war ein Pianist von genialer Begabung. Seine Interpretationen von Bach, Beethoven und Mozart – er nannte sie seine drei Götter – setzten Maßstäbe, die heute noch gültig sind. Und zugleich fühlte er sich seit seiner Jugendzeit zum Jazz hingezogen, zur spontanen musikalischen Äußerung, bei denen er vom nachschöpferischen zum schöpferischen Menschen wurde.
Die Konfrontation der unterschiedlichen Kultursphären, wie sie Gulda noch schmerzhaft erfahren musste – hier E-Musik, dort alles andere –, ist heute in dieser Schärfe nicht mehr denkbar. Im großen Topf der elektronischen Medien hat heute alles nebeneinander Platz und wird miteinander verrührt, was bekanntlich nicht immer von Vorteil ist. Auch eine Figur wie Gulda, der seine Opposition gegen den Betrieb in reinen künstlerischen Ertrag ummünzte, ist heute nicht mehr denkbar. An seiner Kräfte raubenden und zugleich enorm kreativen Praxis müssen sich bis heute alle messen lassen, die auf die schnelle Tour Wahrnehmungsformen verändern und kulturelle Traditionen miteinander fusionieren wollen.
In den siebziger Jahren galt das „Fremdgehen“ eines weltberühmten Klassikpianisten noch als mittlerer Skandal, und die Kritik, die damals mit dem traditionellen Publikum noch meist gleicher Meinung war, überzog Gulda mit Vorwürfen und Häme. Als Reaktion darauf radikalisierte er sich und ging noch einen Schritt weiter in Richtung musikalischer Bühnenperformance. In seinem Programm „Opus Anders“ spielte er mit seiner Partnerin Ursula Anders im Adamskostüm Flöte und Schlagzeug. Sie schrie: „Ich bin verrückt!“, und er schrie zurück: „Ich bin auch verrückt – sind wir zusammen verrückt!“ Das war der endgültige Bruch mit den gepflegten philharmonischen Traditionen.
Den Respekt als Jazzmusiker musste er sich erst verdienen. Sein Auftritt 1958 im New Yorker „Birdland“, wo Charlie Parker, Miles Davis, Thelonious Monk und Art Blakey auftraten, bedeutete die Eintrittskarte in die Welt der improvisierten Musik. Guldas Doppelkarriere im Konzertsaal und im Jazzklub mündete Anfang der achtziger Jahre in die legendären Auftritte beim „Münchner Klaviersommer“. Bei dieser Konzertreihe im Schnittpunkt von Jazz und Klassik, die er zusammen mit der Münchner Filmproduktion LOFT ins Leben rief und programmierte, spielte er nicht nur als Solist seinen Mozart, sondern auch im Duo und Trio mit Partnern wie Chick Corea, Herbie Hancock, Joe Zawinul und Nicolas Economou – freie Improvisationen ohne jede vorherige Absprache, hoch inspiriert, brillant und zur Begeisterung des Publikums, das nun endlich ganz nach seinem Geschmack war. Ein gutes Dutzend Konzertfilme, Dokumente pianistischer Sternstunden, warten heute auf ihre Veröffentlichung auf DVD.
Friedrich Gulda, der 1946 im Alter von sechzehn Jahren den Genfer Klavierwettbewerb gewonnen und mit zwanzig bereits alle wichtigen Konzertsäle der Welt bereist hatte, war in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Musik und Leben fielen für ihn zusammen, und in beidem ging er bis an die Grenze. Als geborener Wiener fühlte er sich auch zu den schwarzen Seiten der Existenz hingezogen, wovon seine „Golowin-Lieder“ künden – Chansons voll barockem Lebensgefühl, in denen der Tod ständig um die Ecke schaut.
Doch seine Heimat war letztlich Mozart. Was er über diesen Komponisten sagte, trifft auch auf ihn selbst ein wenig zu: „Da hat man das Gefühl, es geht alles von alleine. Es gibt keine Geheimnisse, keine Probleme, es ist alles perfekt, es ist alles meisterhaft. Nur steckt da eine ungeheure Konzentration, eine ungeheure Gedankenarbeit, ein ungeheurer Wille dahinter. Gewisse Leute meinen, dem fliegt halt alle so zu. Ja, so kann man es natürlich auch sehen. Es fliegt ihm die Fähigkeit zu, sich mit letzter Konzentration dieser Sache zu widmen, so dass es ausschaut, als wäre das überhaupt nichts. Das sind die allergrößten Meister.“
Am 16. Mai wäre Friedrich Gulda achtzig Jahre als geworden.