Wie großartig unkonventionell Percussion in der Neuen Musik agiert, habe ich unter anderem beobachtet, als kurz vor Beginn einer Generalprobe der Schlagzeuger rief: „Moment, ich muss noch kurz mein Instrument stimmen!“ und zu diesem Zweck eine riesige Holzsäge herauskramte, um den von ihm zu bespielenden drei Meter langen Baumstamm noch ein Stück weit auf die richtige Tonhöhe einzustimmen.

„Branches“ für verstärkte Pflanzenklänge und 4 Spieler (1976) und „Inlets“ für wassergefüllte Muscheln und 3 Spieler (1977) kamen zur Aufführung durch ein Ensemble um den in Köln lebenden Künstler Peter Behrendsen. (MaerzMusik 2012). Foto: Martin Hufner
Gummi-Enten in A-Dur: Percussion in der Neuen Musik
Insbesondere das Schlagwerk scheint mir als Laie im Bereich der Neuen Musik eine unendliche Spielfläche zur Erkundung von Sounds zu bieten. Im Gegensatz zu vielen anderen Instrumenten weist es bereits durch die Art der Klangerzeugung eine größere Variationsvielfalt der spielbaren Klangkörper auf: Während es ziemlich undenkbar ist, eine Tuba ganz ohne eine Tuba zu spielen, kann perkussiv jegliches Material als Klangkörper eingesetzt werden. Ein Baustellenschild und ein Flummi können miteinander Resonanz erzeugen. Im Grunde sind alle Kombinationen möglich. Schlaginstrumente bringen dabei im Bereich der Neuen oder experimentellen Musik nicht nur eine akustische, sondern auch eine visuelle Komponente mit. Ein ausgewachsenes Schlagzeuglager sieht mitunter aus wie der riesige Requisitenfundus eines Theaters oder wie eine skurrile Kuriositätensammlung.
Die Suche nach verschiedenen Materialien und ihren Klängen hat Züge einer Phänomenologie der Dinge. Wenn ich ein Objekt betrachte, gibt es den Moment, in dem ich noch nicht weiß, welches Geräusch es erzeugt. Das ist wie eine verborgene Qualität oder ein akustisches Geheimnis. Eine haptische Neugierde der Hand imaginiert schon vorab die Erfahrung des Ohrs: das Fühlen des Weichen und Harten, das Abklopfen von Hohlkörpern, Erwägen von Schwere, Leichtigkeit, rauer und glatter Oberfläche – all diese spezifischen Materialeigenschaften, die wir aus taktilen Erkundungen kennen, werden für das Ohr und die Imagination transformiert und zueinander in Bezug gesetzt. Manchmal gibt es eine Kongruenz der akustischen und visuell-haptischen Qualitäten der Dinge, manchmal einen absoluten Kontrast. Ein gutes Beispiel für die Kongruenz sind Gegenstände, die biegsam und flexibel sind. Sprungfedern sehen nicht nur lustig aus, sie klingen auch sehr amüsant. Überraschend können dagegen vielleicht die hohen kurzen Töne sein, die beim Bespielen von großen, schweren Steinen entstehen.
Auch wenn man keine akademisch-musikalische Bildung besitzt, können alle Objekte durch die Erfahrung von unkonventionellen Sounds für einen zu sprechen beginnen. Vielleicht laufe ich nach einem Konzert durch die Stadt und imaginiere schon, wie die Abflussrohre bei Starkregen klingen würden, wenn ich mit meinen Nägeln darauf kratze. Vielleicht probiere ich es auch direkt aus. Gelingt es, durch ein Konzert, Neugierde für Klänge im Alltag zu wecken, gerät man mit seiner Umgebung in ein spielerisches Verhältnis, das sonst vor allem bei Kindern zu entdecken ist, die dann und wann, sicher zum Missfallen der Eltern, auf der Straße mit einer zwischen Pollern befestigten Kette rasseln – oder ähnliches. Wenn man es intellektualisieren wollte, könnte man hier als Konsequenz der Kunstrezeption von ‚Resonanz der Weltbeziehung‘ sprechen, wie sie der Soziologe Hartmut Rosa in den Raum wirft.
Aus soziologischem Blickwinkel heraus ist auch interessant, dass man in der Neuen Musik Geräusche finden kann, die man vielleicht aus Avantgarde-Bands wie den Einstürzenden Neubauten oder aus dem Punk kennt, die natürlich aus einer vollkommen anderen Richtung kommen als die klassische Musik. Es löst bei mir eine gewisse Freude an soziokultureller Mischung aus, ein oft akademisches und schick gekleidetes Publikum zwischen wundervoll eleganten und hochwertigen Instrumenten auch mit Bohrmaschinen, Föhns, Gummienten und Ölfässern konfrontiert zu sehen, die die Zuhörenden hoffentlich auch ein wenig schmunzeln lassen. Derartige Klangkörper stellen einen Bruch mit der Norm dar, bringen Witz mit und sind dennoch eingebettet in eine hochkomplexe musikalische Struktur. Denn zum Schluss trifft das Spielerische der Sound-Erkundung auf die versierte professionelle Komposition, nimmt einen Platz ein, ist Teil von deren Sprache und Ausdruck.
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