Ende der neunziger Jahre fuhren wir Riesenrad auf dem Rostocker Weihnachtsmarkt und hatten dabei einen herrlichen Blick aufs Kröpeliner Tor und das Musikhochschulprovisorium. Dort hätte ich eigentlich Unterricht haben sollen, aber mein Lehrer verlegte ihn lieber in luftig-rotierende Höhen und sagte: „So müssen Sie komponieren!“ „Wie?“ „Na – so!“ Oder wir flanierten an der Warnow entlang: „So müssen Sie komponieren!“ „Wie?“ „Na – so!“
Hatte ich halbwegs Brauchbares aufs Papier gebracht, rief er den Rektor an und berichtete über jene passable Idee in Takt 9, bevor wir Haydn-Symphonien durchhörten oder die neuesten Entwicklungen im Instrumentenbau diskutierten: Niemand kann sich so über die klanglichen Folgen einer ausgeleierten Tárogató-Klappe freuen wie Hans-Joachim Hespos, der in diesem Monat seinen 75. Geburtstag feiert. Immer wieder heißt es, er sei Außenseiter und Bürgerschreck. Durch derlei Zuschreibungen verliert man jedoch leicht den feinsinnigen Musiker aus Blick und Ohr, der er ist. Man höre nur jene merkwürdig zarten Melodien und Linien im „Seiltanz“, dort, wo die Lippen der Bläser nach einem riesenhaften fortissimo-Gebrüll in blutigen Fetzen hängen. – „Nichts fallen lassen, nicht Noten – Fleisch!“ sagte Carlos Kleiber einmal in einer Probe zur Freischütz-Ouvertüre. Vielleicht gilt das auch für Hespos’ Werk: Da durchpflügt und durchwühlt einer seit Jahrzehnten wachsam und neugierig alles, was Musik sein kann – und das mit aller Wucht, die das Leben bereithält. Danke dafür – und von Herzen: Alles Gute!